Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. ,Zur Hexe, die morgen in Feuers Pein Ihre Sünden büßt, da geh' Du hinein, Bereite sie betend zu seligem Sterben, Entreiß' ihre Seele dem ew'gen Verderben.' Ich schritt hinein in der Erde Bauch, In meiner Kehle stockte der Hauch, Da kam von drüben ein Rascheln her, Geklirr von Ketten und Seufzen schwer, Und sieh, in der Mauer finsterster Ecke, Wie ein Thier des Waldes in seinem Verstecke, Da sah ich ein Weib, gebeugt und gebückt, Das Haupt an die tiefenden Steine gedrückt. -- Die Fackel heftet' ich in den Ring, Der schwebend herab von der Wölbung hing, Ich sagte: ,Wende zu mir Dein Gesicht, Komm her, meine Schwester, und fürchte Dich nicht.' Ich sah, wie ihr Ohr meine Worte trank, Wie Hand nach Hand ihr vom Antlitz sank, Sie wandte das Haupt, sie schaute mich an, Auf ihren Knieen kroch sie heran. Ihr nackter Arm meine Knie' umfing, An meinem Antlitz ihr Auge hing, Ich schaute herab, der Fackel Licht Umspielte ihr liebliches Angesicht; Da fühlt' ich das Herz so süß mir erwarmen, Da quoll in die Augen mir heißes Erbarmen, Meine Lippen verstummten in lautlosem Leide, In schweigendem Jammer weinten wir beide. Und als meine Thränen sie fließen sah, Mit bebenden Armen umfing sie mich da, Ein Schluchzen tief aus dem Busen ihr quoll, Von stammelnden Lippen ein Flüstern scholl: ,Du kannst noch weinen, Du weintest um mich, Wie den gütigen Heiland, so liebe ich Dich!' Mich faßte der Schreck ob des sündigen Worts: ,Gedenke der Stunde, gedenke des Orts, In Flammen soll morgen der Leib Dir verderben, Durch Buße entfliehe dem ewigen Sterben.' Da sah sie mich an so bangen Gesicht's: ,Was soll ich büßen, verbrach ich doch nichts? Ernſt von Wildenbruch. ‚Zur Hexe, die morgen in Feuers Pein Ihre Sünden büßt, da geh’ Du hinein, Bereite ſie betend zu ſeligem Sterben, Entreiß’ ihre Seele dem ew’gen Verderben.‘ Ich ſchritt hinein in der Erde Bauch, In meiner Kehle ſtockte der Hauch, Da kam von drüben ein Raſcheln her, Geklirr von Ketten und Seufzen ſchwer, Und ſieh, in der Mauer finſterſter Ecke, Wie ein Thier des Waldes in ſeinem Verſtecke, Da ſah ich ein Weib, gebeugt und gebückt, Das Haupt an die tiefenden Steine gedrückt. — Die Fackel heftet’ ich in den Ring, Der ſchwebend herab von der Wölbung hing, Ich ſagte: ‚Wende zu mir Dein Geſicht, Komm her, meine Schweſter, und fürchte Dich nicht.‘ Ich ſah, wie ihr Ohr meine Worte trank, Wie Hand nach Hand ihr vom Antlitz ſank, Sie wandte das Haupt, ſie ſchaute mich an, Auf ihren Knieen kroch ſie heran. Ihr nackter Arm meine Knie’ umfing, An meinem Antlitz ihr Auge hing, Ich ſchaute herab, der Fackel Licht Umſpielte ihr liebliches Angeſicht; Da fühlt’ ich das Herz ſo ſüß mir erwarmen, Da quoll in die Augen mir heißes Erbarmen, Meine Lippen verſtummten in lautloſem Leide, In ſchweigendem Jammer weinten wir beide. Und als meine Thränen ſie fließen ſah, Mit bebenden Armen umfing ſie mich da, Ein Schluchzen tief aus dem Buſen ihr quoll, Von ſtammelnden Lippen ein Flüſtern ſcholl: ‚Du kannſt noch weinen, Du weinteſt um mich, Wie den gütigen Heiland, ſo liebe ich Dich!‘ Mich faßte der Schreck ob des ſündigen Worts: ‚Gedenke der Stunde, gedenke des Orts, In Flammen ſoll morgen der Leib Dir verderben, Durch Buße entfliehe dem ewigen Sterben.‘ Da ſah ſie mich an ſo bangen Geſicht’s: ‚Was ſoll ich büßen, verbrach ich doch nichts? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0267" n="249"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <l>‚Zur Hexe, die morgen in Feuers Pein</l><lb/> <l>Ihre Sünden büßt, da geh’ Du hinein,</l><lb/> <l>Bereite ſie betend zu ſeligem Sterben,</l><lb/> <l>Entreiß’ ihre Seele dem ew’gen Verderben.‘</l><lb/> <l>Ich ſchritt hinein in der Erde Bauch,</l><lb/> <l>In meiner Kehle ſtockte der Hauch,</l><lb/> <l>Da kam von drüben ein Raſcheln her,</l><lb/> <l>Geklirr von Ketten und Seufzen ſchwer,</l><lb/> <l>Und ſieh, in der Mauer finſterſter Ecke,</l><lb/> <l>Wie ein Thier des Waldes in ſeinem Verſtecke,</l><lb/> <l>Da ſah ich ein Weib, gebeugt und gebückt,</l><lb/> <l>Das Haupt an die tiefenden Steine gedrückt. —</l><lb/> <l>Die Fackel heftet’ ich in den Ring,</l><lb/> <l>Der ſchwebend herab von der Wölbung hing,</l><lb/> <l>Ich ſagte: ‚Wende zu mir Dein Geſicht,</l><lb/> <l>Komm her, meine Schweſter, und fürchte Dich nicht.‘</l><lb/> <l>Ich ſah, wie ihr Ohr meine Worte trank,</l><lb/> <l>Wie Hand nach Hand ihr vom Antlitz ſank,</l><lb/> <l>Sie wandte das Haupt, ſie ſchaute mich an,</l><lb/> <l>Auf ihren Knieen kroch ſie heran.</l><lb/> <l>Ihr nackter Arm meine Knie’ umfing,</l><lb/> <l>An meinem Antlitz ihr Auge hing,</l><lb/> <l>Ich ſchaute herab, der Fackel Licht</l><lb/> <l>Umſpielte ihr liebliches Angeſicht;</l><lb/> <l>Da fühlt’ ich das Herz ſo ſüß mir erwarmen,</l><lb/> <l>Da quoll in die Augen mir heißes Erbarmen,</l><lb/> <l>Meine Lippen verſtummten in lautloſem Leide,</l><lb/> <l>In ſchweigendem Jammer weinten wir beide.</l><lb/> <l>Und als meine Thränen ſie fließen ſah,</l><lb/> <l>Mit bebenden Armen umfing ſie mich da,</l><lb/> <l>Ein Schluchzen tief aus dem Buſen ihr quoll,</l><lb/> <l>Von ſtammelnden Lippen ein Flüſtern ſcholl:</l><lb/> <l>‚Du kannſt noch weinen, Du weinteſt um mich,</l><lb/> <l>Wie den gütigen Heiland, ſo liebe ich Dich!‘</l><lb/> <l>Mich faßte der Schreck ob des ſündigen Worts:</l><lb/> <l>‚Gedenke der Stunde, gedenke des Orts,</l><lb/> <l>In Flammen ſoll morgen der Leib Dir verderben,</l><lb/> <l>Durch Buße entfliehe dem ewigen Sterben.‘</l><lb/> <l>Da ſah ſie mich an ſo bangen Geſicht’s:</l><lb/> <l>‚Was ſoll ich büßen, verbrach ich doch nichts?</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [249/0267]
Ernſt von Wildenbruch.
‚Zur Hexe, die morgen in Feuers Pein
Ihre Sünden büßt, da geh’ Du hinein,
Bereite ſie betend zu ſeligem Sterben,
Entreiß’ ihre Seele dem ew’gen Verderben.‘
Ich ſchritt hinein in der Erde Bauch,
In meiner Kehle ſtockte der Hauch,
Da kam von drüben ein Raſcheln her,
Geklirr von Ketten und Seufzen ſchwer,
Und ſieh, in der Mauer finſterſter Ecke,
Wie ein Thier des Waldes in ſeinem Verſtecke,
Da ſah ich ein Weib, gebeugt und gebückt,
Das Haupt an die tiefenden Steine gedrückt. —
Die Fackel heftet’ ich in den Ring,
Der ſchwebend herab von der Wölbung hing,
Ich ſagte: ‚Wende zu mir Dein Geſicht,
Komm her, meine Schweſter, und fürchte Dich nicht.‘
Ich ſah, wie ihr Ohr meine Worte trank,
Wie Hand nach Hand ihr vom Antlitz ſank,
Sie wandte das Haupt, ſie ſchaute mich an,
Auf ihren Knieen kroch ſie heran.
Ihr nackter Arm meine Knie’ umfing,
An meinem Antlitz ihr Auge hing,
Ich ſchaute herab, der Fackel Licht
Umſpielte ihr liebliches Angeſicht;
Da fühlt’ ich das Herz ſo ſüß mir erwarmen,
Da quoll in die Augen mir heißes Erbarmen,
Meine Lippen verſtummten in lautloſem Leide,
In ſchweigendem Jammer weinten wir beide.
Und als meine Thränen ſie fließen ſah,
Mit bebenden Armen umfing ſie mich da,
Ein Schluchzen tief aus dem Buſen ihr quoll,
Von ſtammelnden Lippen ein Flüſtern ſcholl:
‚Du kannſt noch weinen, Du weinteſt um mich,
Wie den gütigen Heiland, ſo liebe ich Dich!‘
Mich faßte der Schreck ob des ſündigen Worts:
‚Gedenke der Stunde, gedenke des Orts,
In Flammen ſoll morgen der Leib Dir verderben,
Durch Buße entfliehe dem ewigen Sterben.‘
Da ſah ſie mich an ſo bangen Geſicht’s:
‚Was ſoll ich büßen, verbrach ich doch nichts?
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