Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Biographien. schule entdeckte L. jedoch mit Schrecken, daß ihm jeder Sinn zu technischen, handels-wissenschaftlichen Studien und zu einem darauf beruhenden Lebensberufe fehlte. Was ihn anzog, waren die sogenannten Humaniora. Rasch bereitete L. sich zum Uebertritt auf die Universität vor, welche er denn auch 1876 bezog. Schon während seiner Mittelschulzeit gab L., wie so viele andere Studenten, Unterricht; er setzte ihn auch während der Universitätsstudien nach besten Kräften fort. Mit Eifer betrieb L. litera- rische, historische und philosophische Studien. Am meisten interessirte ihn die Meta- physik Franz Brentano's, obwohl er schon als Student im Stillen der theologischen, den Lehren Kants, Darwin's und Schopenhauer's widersprechenden Weltanschauung dieses Philosophen eine gewisse Opposition entgegenbrachte. Mächtig wirkte auf ihn zuerst der Pantheismus Spinoza's, später die Philosophie Schopenhauers. L. war gewissermaßen schon als Kind in seiner abgeschlossenen Weise und seinem vereinsamten, weltfremden Thun Schopenhauerianer und ist es geblieben bis zum heutigen Tage. In seiner Kindheit, die, abgesehen von dem schönen Verhältnisse zur Mutter, nichts Freudiges hatte, machten auf ihn unter den ihm damals bekannt gewordenen Dichtungen Schillers "Räuber" den ersten mächtigen Eindruck, welcher auch nimmer verwischt wurde. Etwas später wirkten Shakespeare und Lessing auf ihn, ganz spät erst Goethe. Seine geistige Bildung verdankt L. keiner fremden Person, keinem Lehrer oder sonst Jemandem, sondern lediglich sich selbst, oder richtiger gesagt den großen Dichtern und Denkern. Sein Studiengang ist, wie bereits mitgetheilt, kein regelrechter gewesen, nicht derjenige, der zum Unversitätskatheder führt. Er grämt sich indessen nicht darüber, sondern freut sich vielmehr, daß er mehr oder weniger Authodidakt war. L. studirte, was ihm Vergnügen machte, und was ihn langweilte, ließ er fahren. So war er schon in der Mittelschule. Während der Mathematikstunde las er "Wallenstein". Anstatt mit peinlicher Sorgfalt sein englisches Schulpensum zu erledigen, studirte L. auf eigene Faust Italienisch. Eigentlich ist es überraschend, daß L. bei seinem gegen den Schulzwang und die pädagogischen spanischen Stiefeln sich auflehnenden Naturell doch allemal ein sehr gutes Zeugniß erhielt. Glücklich war L. während seiner Studienzeit nie, und von den studentischen Ver- Als Schriftsteller versuchte L. sich früh. Das Erste war ein Drama frei nach Biographien. ſchule entdeckte L. jedoch mit Schrecken, daß ihm jeder Sinn zu techniſchen, handels-wiſſenſchaftlichen Studien und zu einem darauf beruhenden Lebensberufe fehlte. Was ihn anzog, waren die ſogenannten Humaniora. Raſch bereitete L. ſich zum Uebertritt auf die Univerſität vor, welche er denn auch 1876 bezog. Schon während ſeiner Mittelſchulzeit gab L., wie ſo viele andere Studenten, Unterricht; er ſetzte ihn auch während der Univerſitätsſtudien nach beſten Kräften fort. Mit Eifer betrieb L. litera- riſche, hiſtoriſche und philoſophiſche Studien. Am meiſten intereſſirte ihn die Meta- phyſik Franz Brentano’s, obwohl er ſchon als Student im Stillen der theologiſchen, den Lehren Kants, Darwin’s und Schopenhauer’s widerſprechenden Weltanſchauung dieſes Philoſophen eine gewiſſe Oppoſition entgegenbrachte. Mächtig wirkte auf ihn zuerſt der Pantheismus Spinoza’s, ſpäter die Philoſophie Schopenhauers. L. war gewiſſermaßen ſchon als Kind in ſeiner abgeſchloſſenen Weiſe und ſeinem vereinſamten, weltfremden Thun Schopenhauerianer und iſt es geblieben bis zum heutigen Tage. In ſeiner Kindheit, die, abgeſehen von dem ſchönen Verhältniſſe zur Mutter, nichts Freudiges hatte, machten auf ihn unter den ihm damals bekannt gewordenen Dichtungen Schillers „Räuber“ den erſten mächtigen Eindruck, welcher auch nimmer verwiſcht wurde. Etwas ſpäter wirkten Shakeſpeare und Leſſing auf ihn, ganz ſpät erſt Goethe. Seine geiſtige Bildung verdankt L. keiner fremden Perſon, keinem Lehrer oder ſonſt Jemandem, ſondern lediglich ſich ſelbſt, oder richtiger geſagt den großen Dichtern und Denkern. Sein Studiengang iſt, wie bereits mitgetheilt, kein regelrechter geweſen, nicht derjenige, der zum Unverſitätskatheder führt. Er grämt ſich indeſſen nicht darüber, ſondern freut ſich vielmehr, daß er mehr oder weniger Authodidakt war. L. ſtudirte, was ihm Vergnügen machte, und was ihn langweilte, ließ er fahren. So war er ſchon in der Mittelſchule. Während der Mathematikſtunde las er „Wallenſtein“. Anſtatt mit peinlicher Sorgfalt ſein engliſches Schulpenſum zu erledigen, ſtudirte L. auf eigene Fauſt Italieniſch. Eigentlich iſt es überraſchend, daß L. bei ſeinem gegen den Schulzwang und die pädagogiſchen ſpaniſchen Stiefeln ſich auflehnenden Naturell doch allemal ein ſehr gutes Zeugniß erhielt. Glücklich war L. während ſeiner Studienzeit nie, und von den ſtudentiſchen Ver- Als Schriftſteller verſuchte L. ſich früh. Das Erſte war ein Drama frei nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0319" n="301"/><fw place="top" type="header">Biographien.</fw><lb/> ſchule entdeckte L. jedoch mit Schrecken, daß ihm jeder Sinn zu techniſchen, handels-<lb/> wiſſenſchaftlichen Studien und zu einem darauf beruhenden Lebensberufe fehlte. Was<lb/> ihn anzog, waren die ſogenannten Humaniora. Raſch bereitete L. ſich zum Uebertritt<lb/> auf die Univerſität vor, welche er denn auch 1876 bezog. 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Lenkte es ihn doch zuerſt auf die Bahn des Schönen<lb/> und erſchloß es ihm doch die Geheimniſſe der Poeſie! L. machte manche Schlacht vor<lb/> den Thoren des Burgtheaters mit, und wenn er ſein Plätzchen oben im vierten Stocke<lb/> erobert hatte, machte ihm das tauſendmal mehr Freude, als eine gute Cenſur in der<lb/> Schule. Es war, abgeſehen vom Leſen — und was las er als Knabe nicht Alles<lb/> durcheinander! — ſeine einzige Freude. Aber auch das Träumen liebte L. über Alles.<lb/> Beim offenen Fenſter ſitzen und in’s Unendliche hineinſchauen — war ihm lieber als<lb/> das Spielen mit den Kindern, es gewährte ihm manche unvergleichlich ſchöne Stunde.</p><lb/> <p>Als Schriftſteller verſuchte L. ſich früh. Das Erſte war ein Drama frei nach<lb/> Schiller’s „Räuber“, doch gedieh es nicht weit, und der Himmel allein mag wiſſen,<lb/> wohin das Manuſcript des zehnjährigen Knaben gerathen iſt! Auch Gedichte entſtanden.<lb/> Auch Novellen wurden verfaßt. Als die erſte, eine „Dorfgeſchichte“ in der Wiener<lb/> „Hausfrau“ — ich glaube im März 1878 — im Drucke erſchien, war der junge Autor<lb/> unendlich ſtolz und glücklich. Er trug die Zeitung in der Hand durch die Straßen,<lb/> und ihm war es, als ſähen alle Leute auf ihn, ſagend: Seht, ein Dichter! Nun ver-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0319]
Biographien.
ſchule entdeckte L. jedoch mit Schrecken, daß ihm jeder Sinn zu techniſchen, handels-
wiſſenſchaftlichen Studien und zu einem darauf beruhenden Lebensberufe fehlte. Was
ihn anzog, waren die ſogenannten Humaniora. Raſch bereitete L. ſich zum Uebertritt
auf die Univerſität vor, welche er denn auch 1876 bezog. Schon während ſeiner
Mittelſchulzeit gab L., wie ſo viele andere Studenten, Unterricht; er ſetzte ihn auch
während der Univerſitätsſtudien nach beſten Kräften fort. Mit Eifer betrieb L. litera-
riſche, hiſtoriſche und philoſophiſche Studien. Am meiſten intereſſirte ihn die Meta-
phyſik Franz Brentano’s, obwohl er ſchon als Student im Stillen der theologiſchen,
den Lehren Kants, Darwin’s und Schopenhauer’s widerſprechenden Weltanſchauung
dieſes Philoſophen eine gewiſſe Oppoſition entgegenbrachte. Mächtig wirkte auf ihn
zuerſt der Pantheismus Spinoza’s, ſpäter die Philoſophie Schopenhauers. L. war
gewiſſermaßen ſchon als Kind in ſeiner abgeſchloſſenen Weiſe und ſeinem vereinſamten,
weltfremden Thun Schopenhauerianer und iſt es geblieben bis zum heutigen Tage.
In ſeiner Kindheit, die, abgeſehen von dem ſchönen Verhältniſſe zur Mutter, nichts
Freudiges hatte, machten auf ihn unter den ihm damals bekannt gewordenen Dichtungen
Schillers „Räuber“ den erſten mächtigen Eindruck, welcher auch nimmer verwiſcht
wurde. Etwas ſpäter wirkten Shakeſpeare und Leſſing auf ihn, ganz ſpät erſt Goethe.
Seine geiſtige Bildung verdankt L. keiner fremden Perſon, keinem Lehrer oder ſonſt
Jemandem, ſondern lediglich ſich ſelbſt, oder richtiger geſagt den großen Dichtern und
Denkern. Sein Studiengang iſt, wie bereits mitgetheilt, kein regelrechter geweſen,
nicht derjenige, der zum Unverſitätskatheder führt. Er grämt ſich indeſſen nicht darüber,
ſondern freut ſich vielmehr, daß er mehr oder weniger Authodidakt war. L. ſtudirte,
was ihm Vergnügen machte, und was ihn langweilte, ließ er fahren. So war er
ſchon in der Mittelſchule. Während der Mathematikſtunde las er „Wallenſtein“.
Anſtatt mit peinlicher Sorgfalt ſein engliſches Schulpenſum zu erledigen, ſtudirte L.
auf eigene Fauſt Italieniſch. Eigentlich iſt es überraſchend, daß L. bei ſeinem gegen
den Schulzwang und die pädagogiſchen ſpaniſchen Stiefeln ſich auflehnenden Naturell
doch allemal ein ſehr gutes Zeugniß erhielt.
Glücklich war L. während ſeiner Studienzeit nie, und von den ſtudentiſchen Ver-
gnügungen genoß L. Nichts. L. hat damals gekämpft und gelitten, was inſofern gut
war, als L. ſich innerlich feſtigte und an ſeeliſcher Erfahrung allen ſeinen Alters-
und Studiengenoſſen überlegen war. Hat er auch keinem Lehrer das zu danken, ſo
darf nicht unerwähnt gelaſſen werden, daß er dem Wiener Burgtheater den größten
Theil ſeiner Bildung verdankt. Lenkte es ihn doch zuerſt auf die Bahn des Schönen
und erſchloß es ihm doch die Geheimniſſe der Poeſie! L. machte manche Schlacht vor
den Thoren des Burgtheaters mit, und wenn er ſein Plätzchen oben im vierten Stocke
erobert hatte, machte ihm das tauſendmal mehr Freude, als eine gute Cenſur in der
Schule. Es war, abgeſehen vom Leſen — und was las er als Knabe nicht Alles
durcheinander! — ſeine einzige Freude. Aber auch das Träumen liebte L. über Alles.
Beim offenen Fenſter ſitzen und in’s Unendliche hineinſchauen — war ihm lieber als
das Spielen mit den Kindern, es gewährte ihm manche unvergleichlich ſchöne Stunde.
Als Schriftſteller verſuchte L. ſich früh. Das Erſte war ein Drama frei nach
Schiller’s „Räuber“, doch gedieh es nicht weit, und der Himmel allein mag wiſſen,
wohin das Manuſcript des zehnjährigen Knaben gerathen iſt! Auch Gedichte entſtanden.
Auch Novellen wurden verfaßt. Als die erſte, eine „Dorfgeſchichte“ in der Wiener
„Hausfrau“ — ich glaube im März 1878 — im Drucke erſchien, war der junge Autor
unendlich ſtolz und glücklich. Er trug die Zeitung in der Hand durch die Straßen,
und ihm war es, als ſähen alle Leute auf ihn, ſagend: Seht, ein Dichter! Nun ver-
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