Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Carl Bleibtreu. Mazeppa ist gefesselt an seines Renners Flanken. Der reißt ihn fort in tödtliche Gefahr, Ohnmächtig, blutend, jeder Hoffnung bar. Doch er erwacht als Hetman der Ukraine. So reißt der Genius durchs Wirrsal der Gedanken Den Dichter fort durch alle Lebensschranken. Doch aus dem Fieberwahn erwacht er nun zum Schluß, Und wo ihn niederwarf sein Genius, Erkennt er seiner Herrscherkraft Domaine. Sucht nicht den Dichter, nur sein Lied! Der Paradiesesvogel zieht Hoch überm Haupt der Menschen fort -- Den Ort, wo er geflattert dort, Zeigt nur des Schweifes heller Schwung, Der schnell durchfurcht die Dämmerung. Wie in der Fichtenrinde Des Harzes Balsam schwillt Und reichlich überquillt, Daß jedes Kind ihn finde -- Entquillt des Friedens Segen Dem Busen der Natur. Sie einzig tröstet nur Den Kummer allerwegen. Und dieses Balsams Düfte Ins Inn're dringen sie: Der Duft der Poesie, Ein Gruß der Himmelslüfte. Ja, Genien giebt es, die das Sein verschönen, Verwandt mit Allem, was da groß und gut, Gemeinschaft mit Gemeinem nur verpönen, Mit Dunst und Staub; doch die der Sonne Gluth Des Aethers reinen Hauch, der Erde Düfte Einsaugen, wie die junge Rebe thut, Die sich vom Nektar nährt der Himmelslüfte, Bis alles Süßen Quintessenz ihr Blut. Und wilder Wein rankt selbst sich über Grüfte -- So selbst den Tod verklären solche Wesen, Die zu dem Dienst des Schönen auserlesen. Carl Bleibtreu. Mazeppa iſt gefeſſelt an ſeines Renners Flanken. Der reißt ihn fort in tödtliche Gefahr, Ohnmächtig, blutend, jeder Hoffnung bar. Doch er erwacht als Hetman der Ukraine. So reißt der Genius durchs Wirrſal der Gedanken Den Dichter fort durch alle Lebensſchranken. Doch aus dem Fieberwahn erwacht er nun zum Schluß, Und wo ihn niederwarf ſein Genius, Erkennt er ſeiner Herrſcherkraft Domaine. Sucht nicht den Dichter, nur ſein Lied! Der Paradieſesvogel zieht Hoch überm Haupt der Menſchen fort — Den Ort, wo er geflattert dort, Zeigt nur des Schweifes heller Schwung, Der ſchnell durchfurcht die Dämmerung. Wie in der Fichtenrinde Des Harzes Balſam ſchwillt Und reichlich überquillt, Daß jedes Kind ihn finde — Entquillt des Friedens Segen Dem Buſen der Natur. Sie einzig tröſtet nur Den Kummer allerwegen. Und dieſes Balſams Düfte Ins Inn’re dringen ſie: Der Duft der Poeſie, Ein Gruß der Himmelslüfte. Ja, Genien giebt es, die das Sein verſchönen, Verwandt mit Allem, was da groß und gut, Gemeinſchaft mit Gemeinem nur verpönen, Mit Dunſt und Staub; doch die der Sonne Gluth Des Aethers reinen Hauch, der Erde Düfte Einſaugen, wie die junge Rebe thut, Die ſich vom Nektar nährt der Himmelslüfte, Bis alles Süßen Quinteſſenz ihr Blut. Und wilder Wein rankt ſelbſt ſich über Grüfte — So ſelbſt den Tod verklären ſolche Weſen, Die zu dem Dienſt des Schönen auserleſen. <TEI> <text> <back> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0335" n="13"/> <fw place="top" type="header">Carl Bleibtreu.</fw><lb/> <lg n="11"> <l>Mazeppa iſt gefeſſelt an ſeines Renners Flanken.</l><lb/> <l>Der reißt ihn fort in tödtliche Gefahr,</l><lb/> <l>Ohnmächtig, blutend, jeder Hoffnung bar.</l><lb/> <l>Doch er erwacht als Hetman der Ukraine.</l><lb/> <l>So reißt der Genius durchs Wirrſal der Gedanken</l><lb/> <l>Den Dichter fort durch alle Lebensſchranken.</l><lb/> <l>Doch aus dem Fieberwahn erwacht er nun zum Schluß,</l><lb/> <l>Und wo ihn niederwarf ſein Genius,</l><lb/> <l>Erkennt er ſeiner Herrſcherkraft Domaine.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg n="12"> <l>Sucht nicht den Dichter, nur ſein Lied!</l><lb/> <l>Der Paradieſesvogel zieht</l><lb/> <l>Hoch überm Haupt der Menſchen fort —</l><lb/> <l>Den Ort, wo er <choice><sic>geflatttert</sic><corr>geflattert</corr></choice> dort,</l><lb/> <l>Zeigt nur des Schweifes heller Schwung,</l><lb/> <l>Der ſchnell durchfurcht die Dämmerung.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg n="13"> <l>Wie in der Fichtenrinde</l><lb/> <l>Des Harzes Balſam ſchwillt</l><lb/> <l>Und reichlich überquillt,</l><lb/> <l>Daß jedes Kind ihn finde —</l><lb/> <l>Entquillt des Friedens Segen</l><lb/> <l>Dem Buſen der Natur.</l><lb/> <l>Sie einzig tröſtet nur</l><lb/> <l>Den Kummer allerwegen.</l><lb/> <l>Und dieſes Balſams Düfte</l><lb/> <l>Ins Inn’re dringen ſie:</l><lb/> <l>Der Duft der Poeſie,</l><lb/> <l>Ein Gruß der Himmelslüfte.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg n="14"> <l>Ja, Genien giebt es, die das Sein verſchönen,</l><lb/> <l>Verwandt mit Allem, was da groß und gut,</l><lb/> <l>Gemeinſchaft mit Gemeinem nur verpönen,</l><lb/> <l>Mit Dunſt und Staub; doch die der Sonne Gluth</l><lb/> <l>Des Aethers reinen Hauch, der Erde Düfte</l><lb/> <l>Einſaugen, wie die junge Rebe thut,</l><lb/> <l>Die ſich vom Nektar nährt der Himmelslüfte,</l><lb/> <l>Bis alles Süßen Quinteſſenz ihr Blut.</l><lb/> <l>Und wilder Wein rankt ſelbſt ſich über Grüfte —</l><lb/> <l>So ſelbſt den Tod verklären ſolche Weſen,</l><lb/> <l>Die zu dem Dienſt des Schönen auserleſen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </back> </text> </TEI> [13/0335]
Carl Bleibtreu.
Mazeppa iſt gefeſſelt an ſeines Renners Flanken.
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Ohnmächtig, blutend, jeder Hoffnung bar.
Doch er erwacht als Hetman der Ukraine.
So reißt der Genius durchs Wirrſal der Gedanken
Den Dichter fort durch alle Lebensſchranken.
Doch aus dem Fieberwahn erwacht er nun zum Schluß,
Und wo ihn niederwarf ſein Genius,
Erkennt er ſeiner Herrſcherkraft Domaine.
Sucht nicht den Dichter, nur ſein Lied!
Der Paradieſesvogel zieht
Hoch überm Haupt der Menſchen fort —
Den Ort, wo er geflattert dort,
Zeigt nur des Schweifes heller Schwung,
Der ſchnell durchfurcht die Dämmerung.
Wie in der Fichtenrinde
Des Harzes Balſam ſchwillt
Und reichlich überquillt,
Daß jedes Kind ihn finde —
Entquillt des Friedens Segen
Dem Buſen der Natur.
Sie einzig tröſtet nur
Den Kummer allerwegen.
Und dieſes Balſams Düfte
Ins Inn’re dringen ſie:
Der Duft der Poeſie,
Ein Gruß der Himmelslüfte.
Ja, Genien giebt es, die das Sein verſchönen,
Verwandt mit Allem, was da groß und gut,
Gemeinſchaft mit Gemeinem nur verpönen,
Mit Dunſt und Staub; doch die der Sonne Gluth
Des Aethers reinen Hauch, der Erde Düfte
Einſaugen, wie die junge Rebe thut,
Die ſich vom Nektar nährt der Himmelslüfte,
Bis alles Süßen Quinteſſenz ihr Blut.
Und wilder Wein rankt ſelbſt ſich über Grüfte —
So ſelbſt den Tod verklären ſolche Weſen,
Die zu dem Dienſt des Schönen auserleſen.
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