Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite

Julius Hart.

Und wenn der Abendnebel fällt,
Ruht mein Haupt im Schoße des Leides,
Aus wirren Träumen banger Erinnerung,
Weckt mich der Schmerz zur Nachtzeit.

Nun wardst du zur Freundin mir, Einsamkeit,
Zur hohen schönen Geliebten,
Dir tönt mein Lied, athmend
Die Schauer der Zukunft.
Deine Hand liegt auf meinem Herzen,
Deine Küsse fallen auf mein Haupt,
Meine Seele zittert in deinen Armen.
Du Gebärerin großer Gedanken,
Du Erzeugerin weltstürmender Thaten,
Du gieß'st in unseren Busen den Schmerz,
Der wegfegt wie Lenzsturm
Herb', groß, rauhathmend
Die welken Blätter von den Straßen,
Den Staub des Alltags.
Des Herzens Acker zerreißt du in wilde Furchen,
Daß tausendfach munter hervorschießt
Der gold'ne Weizen kühnen Wollens.
Du singst uns vor mit düst'rer Stimme
Das uralte, herbe Lied vom Menschenschicksal:
In die Welt nackt gestoßen
Einsam steh'n wir auf öder Wacht,
Jeder Feind dem anderen,
Allein Kämpfer, allein Sieger!
Eigne Kraft nur ist unser Schwert,
Allein nur fällst du, und kein Lebendiger
Tauscht je die goldige Fülle seines Tages
Voll erhabenen Mitleids
Mit den Schatten deiner Todesnacht.
Einsamkeit!
In deinem Schooße lag Homers ehrwürdiges Haupt,
Und deine Hand ruhte auf Caesars Scheitel,

Julius Hart.

Und wenn der Abendnebel fällt,
Ruht mein Haupt im Schoße des Leides,
Aus wirren Träumen banger Erinnerung,
Weckt mich der Schmerz zur Nachtzeit.

Nun wardſt du zur Freundin mir, Einſamkeit,
Zur hohen ſchönen Geliebten,
Dir tönt mein Lied, athmend
Die Schauer der Zukunft.
Deine Hand liegt auf meinem Herzen,
Deine Küſſe fallen auf mein Haupt,
Meine Seele zittert in deinen Armen.
Du Gebärerin großer Gedanken,
Du Erzeugerin weltſtürmender Thaten,
Du gieß’ſt in unſeren Buſen den Schmerz,
Der wegfegt wie Lenzſturm
Herb’, groß, rauhathmend
Die welken Blätter von den Straßen,
Den Staub des Alltags.
Des Herzens Acker zerreißt du in wilde Furchen,
Daß tauſendfach munter hervorſchießt
Der gold’ne Weizen kühnen Wollens.
Du ſingſt uns vor mit düſt’rer Stimme
Das uralte, herbe Lied vom Menſchenſchickſal:
In die Welt nackt geſtoßen
Einſam ſteh’n wir auf öder Wacht,
Jeder Feind dem anderen,
Allein Kämpfer, allein Sieger!
Eigne Kraft nur iſt unſer Schwert,
Allein nur fällſt du, und kein Lebendiger
Tauſcht je die goldige Fülle ſeines Tages
Voll erhabenen Mitleids
Mit den Schatten deiner Todesnacht.
Einſamkeit!
In deinem Schooße lag Homers ehrwürdiges Haupt,
Und deine Hand ruhte auf Caeſars Scheitel,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="10">
              <pb facs="#f0092" n="74"/>
              <fw place="top" type="header">Julius Hart.</fw><lb/>
              <l>Und wenn der Abendnebel fällt,</l><lb/>
              <l>Ruht mein Haupt im Schoße des Leides,</l><lb/>
              <l>Aus wirren Träumen banger Erinnerung,</l><lb/>
              <l>Weckt mich der Schmerz zur Nachtzeit.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Nun ward&#x017F;t du zur Freundin mir, Ein&#x017F;amkeit,</l><lb/>
              <l>Zur hohen &#x017F;chönen Geliebten,</l><lb/>
              <l>Dir tönt mein Lied, athmend</l><lb/>
              <l>Die Schauer der Zukunft.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Deine Hand liegt auf meinem Herzen,</l><lb/>
              <l>Deine Kü&#x017F;&#x017F;e fallen auf mein Haupt,</l><lb/>
              <l>Meine Seele zittert in deinen Armen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="13">
              <l>Du Gebärerin großer Gedanken,</l><lb/>
              <l>Du Erzeugerin welt&#x017F;türmender Thaten,</l><lb/>
              <l>Du gieß&#x2019;&#x017F;t in un&#x017F;eren Bu&#x017F;en den Schmerz,</l><lb/>
              <l>Der wegfegt wie Lenz&#x017F;turm</l><lb/>
              <l>Herb&#x2019;, groß, rauhathmend</l><lb/>
              <l>Die welken Blätter von den Straßen,</l><lb/>
              <l>Den Staub des Alltags.</l><lb/>
              <l>Des Herzens Acker zerreißt du in wilde Furchen,</l><lb/>
              <l>Daß tau&#x017F;endfach munter hervor&#x017F;chießt</l><lb/>
              <l>Der gold&#x2019;ne Weizen kühnen Wollens.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="14">
              <l>Du &#x017F;ing&#x017F;t uns vor mit dü&#x017F;t&#x2019;rer Stimme</l><lb/>
              <l>Das uralte, herbe Lied vom Men&#x017F;chen&#x017F;chick&#x017F;al:</l><lb/>
              <l>In die Welt nackt ge&#x017F;toßen</l><lb/>
              <l>Ein&#x017F;am &#x017F;teh&#x2019;n wir auf öder Wacht,</l><lb/>
              <l>Jeder Feind dem anderen,</l><lb/>
              <l>Allein Kämpfer, allein Sieger!</l><lb/>
              <l>Eigne Kraft nur i&#x017F;t un&#x017F;er Schwert,</l><lb/>
              <l>Allein nur fäll&#x017F;t du, und kein Lebendiger</l><lb/>
              <l>Tau&#x017F;cht je die goldige Fülle &#x017F;eines Tages</l><lb/>
              <l>Voll erhabenen Mitleids</l><lb/>
              <l>Mit den Schatten deiner Todesnacht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="15">
              <l>Ein&#x017F;amkeit!</l><lb/>
              <l>In deinem Schooße lag Homers ehrwürdiges Haupt,</l><lb/>
              <l>Und deine Hand ruhte auf Cae&#x017F;ars Scheitel,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0092] Julius Hart. Und wenn der Abendnebel fällt, Ruht mein Haupt im Schoße des Leides, Aus wirren Träumen banger Erinnerung, Weckt mich der Schmerz zur Nachtzeit. Nun wardſt du zur Freundin mir, Einſamkeit, Zur hohen ſchönen Geliebten, Dir tönt mein Lied, athmend Die Schauer der Zukunft. Deine Hand liegt auf meinem Herzen, Deine Küſſe fallen auf mein Haupt, Meine Seele zittert in deinen Armen. Du Gebärerin großer Gedanken, Du Erzeugerin weltſtürmender Thaten, Du gieß’ſt in unſeren Buſen den Schmerz, Der wegfegt wie Lenzſturm Herb’, groß, rauhathmend Die welken Blätter von den Straßen, Den Staub des Alltags. Des Herzens Acker zerreißt du in wilde Furchen, Daß tauſendfach munter hervorſchießt Der gold’ne Weizen kühnen Wollens. Du ſingſt uns vor mit düſt’rer Stimme Das uralte, herbe Lied vom Menſchenſchickſal: In die Welt nackt geſtoßen Einſam ſteh’n wir auf öder Wacht, Jeder Feind dem anderen, Allein Kämpfer, allein Sieger! Eigne Kraft nur iſt unſer Schwert, Allein nur fällſt du, und kein Lebendiger Tauſcht je die goldige Fülle ſeines Tages Voll erhabenen Mitleids Mit den Schatten deiner Todesnacht. Einſamkeit! In deinem Schooße lag Homers ehrwürdiges Haupt, Und deine Hand ruhte auf Caeſars Scheitel,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/92
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/92>, abgerufen am 27.11.2024.