Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite
5. Die alte Benediktinerabtei Tegernsee.

Der Tegernsee liegt in der Mündung vor einer Thalenge,
durch welche man zur Glashütte, nach Achen und Tirol kommt.
Jn seinen reinen Fluthen, wenn sie eine ruhige, schimmernde
Silberfläche bilden, spiegeln sich die Thürme einer einst mäch-
tigen Benediktinerabtei. Adalbert und Otgar, aus dem fürst-
lichen Stamme der Agilolfinger, welche nach dem Volksglauben
riesig gestaltete Helden waren von 9 Fuß 7 Zoll Größe, be-
riefen in den Jahren 740-750 fromme Mönche in die damals
noch schauerliche Wildniß, worin Bären, Wölfe und andere
Bestien hausten und für Menschen den Zugang lebensgefährlich
machten. Aber was haben nicht schon in allen Weltgegenden
solche Ansiedelungen aufopfernder, selbstverleugnender Mönche zu
Stande gebracht! Nicht Hunger, Durst und sonstige Ent-
behrung, weder erstarrende Kälte noch verzehrende Hitze, ja,
weder der Kampf mit den Elementen noch mit den wilden
Thieren hinderte sie, mit unermüdlichem Fleiße große Strecken
Landes urbar und nützlich zu machen. Und doch, so schwer für
sie diese verdienstliche Arbeit war, eben so leicht wurde oft den
kommenden Geschlechtern das Vergessen, was Jene gethan!
Benediktinermönche des 8. Jahrhunderts also, deren Chor bald
eine Stärke von 150 Köpfen erreicht hatte, verwandelten die
Thalwüste am Tegernsee in eine Landschaft fruchtbarer, blühen-
der Auen. Es ist nicht fest zu bestimmen, ob die Einweihung
der Kirche im Jahre 746-49 oder 752 statt fand. Unter
Herzog Utilo von Bayern, einem Blutsverwandten der beiden
Stifter, vollzog Bischof Erimbert von Freysing die Konsekration,
und zugleich beschnitten Jene ihr Haar, das sie nach Fürsten-
sitte lang trugen, nahmen die Kukulle und legten in die Hand
ihres Oberhirten die Gelübde ab. All ihr Gut weihten sie dem
Herrn und statteten das Kloster, das schön wie wenige konstruirt
war, mit Besitzthum und Gründen reich aus. Mehr als ein-
mal wurde die Kirche durch Brand zerstört, aber immer wieder
erhob sie sich auf's Neue, ja schöner als zuvor, so daß sie zu
den hervorragendsten Gotteshäusern des Landes gehört. Jn der

5. Die alte Benediktinerabtei Tegernſee.

Der Tegernſee liegt in der Mündung vor einer Thalenge,
durch welche man zur Glashütte, nach Achen und Tirol kommt.
Jn ſeinen reinen Fluthen, wenn ſie eine ruhige, ſchimmernde
Silberfläche bilden, ſpiegeln ſich die Thürme einer einſt mäch-
tigen Benediktinerabtei. Adalbert und Otgar, aus dem fürſt-
lichen Stamme der Agilolfinger, welche nach dem Volksglauben
rieſig geſtaltete Helden waren von 9 Fuß 7 Zoll Größe, be-
riefen in den Jahren 740–750 fromme Mönche in die damals
noch ſchauerliche Wildniß, worin Bären, Wölfe und andere
Beſtien hauſten und für Menſchen den Zugang lebensgefährlich
machten. Aber was haben nicht ſchon in allen Weltgegenden
ſolche Anſiedelungen aufopfernder, ſelbſtverleugnender Mönche zu
Stande gebracht! Nicht Hunger, Durſt und ſonſtige Ent-
behrung, weder erſtarrende Kälte noch verzehrende Hitze, ja,
weder der Kampf mit den Elementen noch mit den wilden
Thieren hinderte ſie, mit unermüdlichem Fleiße große Strecken
Landes urbar und nützlich zu machen. Und doch, ſo ſchwer für
ſie dieſe verdienſtliche Arbeit war, eben ſo leicht wurde oft den
kommenden Geſchlechtern das Vergeſſen, was Jene gethan!
Benediktinermönche des 8. Jahrhunderts alſo, deren Chor bald
eine Stärke von 150 Köpfen erreicht hatte, verwandelten die
Thalwüſte am Tegernſee in eine Landſchaft fruchtbarer, blühen-
der Auen. Es iſt nicht feſt zu beſtimmen, ob die Einweihung
der Kirche im Jahre 746–49 oder 752 ſtatt fand. Unter
Herzog Utilo von Bayern, einem Blutsverwandten der beiden
Stifter, vollzog Biſchof Erimbert von Freyſing die Konſekration,
und zugleich beſchnitten Jene ihr Haar, das ſie nach Fürſten-
ſitte lang trugen, nahmen die Kukulle und legten in die Hand
ihres Oberhirten die Gelübde ab. All ihr Gut weihten ſie dem
Herrn und ſtatteten das Kloſter, das ſchön wie wenige konſtruirt
war, mit Beſitzthum und Gründen reich aus. Mehr als ein-
mal wurde die Kirche durch Brand zerſtört, aber immer wieder
erhob ſie ſich auf’s Neue, ja ſchöner als zuvor, ſo daß ſie zu
den hervorragendſten Gotteshäuſern des Landes gehört. Jn der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0018"/>
      <div type="chapter">
        <head>5. Die alte Benediktinerabtei Tegern&#x017F;ee.</head><lb/>
        <p>Der Tegern&#x017F;ee liegt in der Mündung vor einer Thalenge,<lb/>
durch welche man zur Glashütte, nach Achen und Tirol kommt.<lb/>
Jn &#x017F;einen reinen Fluthen, wenn &#x017F;ie eine ruhige, &#x017F;chimmernde<lb/>
Silberfläche bilden, &#x017F;piegeln &#x017F;ich die Thürme einer ein&#x017F;t mäch-<lb/>
tigen Benediktinerabtei. Adalbert und Otgar, aus dem für&#x017F;t-<lb/>
lichen Stamme der Agilolfinger, welche nach dem Volksglauben<lb/>
rie&#x017F;ig ge&#x017F;taltete Helden waren von 9 Fuß 7 Zoll Größe, be-<lb/>
riefen in den Jahren 740&#x2013;750 fromme Mönche in die damals<lb/>
noch &#x017F;chauerliche Wildniß, worin Bären, Wölfe und andere<lb/>
Be&#x017F;tien hau&#x017F;ten und für Men&#x017F;chen den Zugang lebensgefährlich<lb/>
machten. Aber was haben nicht &#x017F;chon in allen Weltgegenden<lb/>
&#x017F;olche An&#x017F;iedelungen aufopfernder, &#x017F;elb&#x017F;tverleugnender Mönche zu<lb/>
Stande gebracht! Nicht Hunger, Dur&#x017F;t und &#x017F;on&#x017F;tige Ent-<lb/>
behrung, weder er&#x017F;tarrende Kälte noch verzehrende Hitze, ja,<lb/>
weder der Kampf mit den Elementen noch mit den wilden<lb/>
Thieren hinderte &#x017F;ie, mit unermüdlichem Fleiße große Strecken<lb/>
Landes urbar und nützlich zu machen. Und doch, &#x017F;o &#x017F;chwer für<lb/>
&#x017F;ie die&#x017F;e verdien&#x017F;tliche Arbeit war, eben &#x017F;o leicht wurde oft den<lb/>
kommenden Ge&#x017F;chlechtern das Verge&#x017F;&#x017F;en, was Jene gethan!<lb/>
Benediktinermönche des 8. Jahrhunderts al&#x017F;o, deren Chor bald<lb/>
eine Stärke von 150 Köpfen erreicht hatte, verwandelten die<lb/>
Thalwü&#x017F;te am Tegern&#x017F;ee in eine Land&#x017F;chaft fruchtbarer, blühen-<lb/>
der Auen. Es i&#x017F;t nicht fe&#x017F;t zu be&#x017F;timmen, ob die Einweihung<lb/>
der Kirche im Jahre 746&#x2013;49 oder 752 &#x017F;tatt fand. Unter<lb/>
Herzog Utilo von Bayern, einem Blutsverwandten der beiden<lb/>
Stifter, vollzog Bi&#x017F;chof Erimbert von Frey&#x017F;ing die Kon&#x017F;ekration,<lb/>
und zugleich be&#x017F;chnitten Jene ihr Haar, das &#x017F;ie nach Für&#x017F;ten-<lb/>
&#x017F;itte lang trugen, nahmen die Kukulle und legten in die Hand<lb/>
ihres Oberhirten die Gelübde ab. All ihr Gut weihten &#x017F;ie dem<lb/>
Herrn und &#x017F;tatteten das Klo&#x017F;ter, das &#x017F;chön wie wenige kon&#x017F;truirt<lb/>
war, mit Be&#x017F;itzthum und Gründen reich aus. Mehr als ein-<lb/>
mal wurde die Kirche durch Brand zer&#x017F;tört, aber immer wieder<lb/>
erhob &#x017F;ie &#x017F;ich auf&#x2019;s Neue, ja &#x017F;chöner als zuvor, &#x017F;o daß &#x017F;ie zu<lb/>
den hervorragend&#x017F;ten Gotteshäu&#x017F;ern des Landes gehört. Jn der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] 5. Die alte Benediktinerabtei Tegernſee. Der Tegernſee liegt in der Mündung vor einer Thalenge, durch welche man zur Glashütte, nach Achen und Tirol kommt. Jn ſeinen reinen Fluthen, wenn ſie eine ruhige, ſchimmernde Silberfläche bilden, ſpiegeln ſich die Thürme einer einſt mäch- tigen Benediktinerabtei. Adalbert und Otgar, aus dem fürſt- lichen Stamme der Agilolfinger, welche nach dem Volksglauben rieſig geſtaltete Helden waren von 9 Fuß 7 Zoll Größe, be- riefen in den Jahren 740–750 fromme Mönche in die damals noch ſchauerliche Wildniß, worin Bären, Wölfe und andere Beſtien hauſten und für Menſchen den Zugang lebensgefährlich machten. Aber was haben nicht ſchon in allen Weltgegenden ſolche Anſiedelungen aufopfernder, ſelbſtverleugnender Mönche zu Stande gebracht! Nicht Hunger, Durſt und ſonſtige Ent- behrung, weder erſtarrende Kälte noch verzehrende Hitze, ja, weder der Kampf mit den Elementen noch mit den wilden Thieren hinderte ſie, mit unermüdlichem Fleiße große Strecken Landes urbar und nützlich zu machen. Und doch, ſo ſchwer für ſie dieſe verdienſtliche Arbeit war, eben ſo leicht wurde oft den kommenden Geſchlechtern das Vergeſſen, was Jene gethan! Benediktinermönche des 8. Jahrhunderts alſo, deren Chor bald eine Stärke von 150 Köpfen erreicht hatte, verwandelten die Thalwüſte am Tegernſee in eine Landſchaft fruchtbarer, blühen- der Auen. Es iſt nicht feſt zu beſtimmen, ob die Einweihung der Kirche im Jahre 746–49 oder 752 ſtatt fand. Unter Herzog Utilo von Bayern, einem Blutsverwandten der beiden Stifter, vollzog Biſchof Erimbert von Freyſing die Konſekration, und zugleich beſchnitten Jene ihr Haar, das ſie nach Fürſten- ſitte lang trugen, nahmen die Kukulle und legten in die Hand ihres Oberhirten die Gelübde ab. All ihr Gut weihten ſie dem Herrn und ſtatteten das Kloſter, das ſchön wie wenige konſtruirt war, mit Beſitzthum und Gründen reich aus. Mehr als ein- mal wurde die Kirche durch Brand zerſtört, aber immer wieder erhob ſie ſich auf’s Neue, ja ſchöner als zuvor, ſo daß ſie zu den hervorragendſten Gotteshäuſern des Landes gehört. Jn der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T10:39:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T10:39:18Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/18
Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/18>, abgerufen am 21.11.2024.