Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.darum wiederholte sie öfters ihren Lieblingsspruch, den sie für "Kreuzstein! Blutstein! Schlag mir kein lebendig's Bein!" Der Glockenkuh folgte heute die Heerde mit besonderem Ge- Da und dort wurden durch den Glockenklang Rehe und Je heller die Sonnenstrahlen wurden, um so grausiger wurde darum wiederholte ſie öfters ihren Lieblingsſpruch, den ſie für „Kreuzſtein! Blutſtein! Schlag mir kein lebendig’s Bein!“ Der Glockenkuh folgte heute die Heerde mit beſonderem Ge- Da und dort wurden durch den Glockenklang Rehe und Je heller die Sonnenſtrahlen wurden, um ſo grauſiger wurde <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0041"/> darum wiederholte ſie öfters ihren Lieblingsſpruch, den ſie für<lb/> einen ſichern Talisman hielt: <lg type="poem"><l>„Kreuzſtein! Blutſtein!</l><lb/><l>Schlag mir kein lebendig’s Bein!“</l><lb/></lg></p><lb/> <p>Der Glockenkuh folgte heute die Heerde mit beſonderem Ge-<lb/> horſam, denn auch die noch „unkultivirten“ Kälber waren für dieſen<lb/> ſchweren Gang durch ein einfaches Mittel gefügig gemacht, in-<lb/> dem man ihnen einige Zeit vorher ein Haar von der Glocken-<lb/> kuh eingab, was untrüglich helfen ſoll.</p><lb/> <p>Da und dort wurden durch den Glockenklang Rehe und<lb/> Gemſen aus ihrer Ruhe aufgeſcheucht, und mit leichtem Schwung<lb/> ſprangen ſie an den Felsklippen empor. Allmälig wurde es<lb/> heller, die Vögel ſtimmten ihren Frühgeſang an, und aus den<lb/> Blumen und Kräutern, worauf der Thau wie ein perlgeſtickter<lb/> Silberſchleier lag, drang ein feiner weißer Hauch und ſtieg zum<lb/> Himmel gleich duftendem Weihrauch auf. — Dieſe lieblichen Er-<lb/> ſcheinungen der hohen Bergwelt ſtanden aber in grellem Wider-<lb/> ſpruch zu den ſchauerlichen, gähnenden Abgründen, woran der<lb/> Pfad vorüber führte, und an einem derſelben ſagte die Nandl:<lb/> „Gott ſei ihrer armen Seel’ gnädig! Da ſtürzte vor zehn Jahren<lb/> die geizige Bäuerin hinunter, welche Haus, Hof und Kind im<lb/> Stich ließ, und ſelber oben hüten wollte, weil ſie keiner Sennerin<lb/> traute. Mit zerſchmettertem Kopf zog man ſie herauf und ſchleppte<lb/> ſie in’s Thal. Dort haben ſie ihr anſtatt der zerbrochenen Hirn-<lb/> ſchale eine ſilberne eingeſetzt, und mit dieſer hat ſie noch eine Zeit<lb/> lang, aber ohne Verſtand gelebt, dann iſt ſie elend geſtorben.“</p><lb/> <p>Je heller die Sonnenſtrahlen wurden, um ſo grauſiger wurde<lb/> der Blick in die ſchwarzen, unergründlichen Tiefen; und immer<lb/> höher ging’s hinauf, immer heißer wurde es, den Trägern rann<lb/> der Schweiß von der Stirne und alles ſeufzte nach dem Ziel. —<lb/> Endlich, endlich gelangt der Zug nach mehrſtündigem Aufſteigen<lb/> bei den Sennhütten an, und nun lag mit einemmal vor Reſi’s<lb/> Augen die noch nicht gekannte Herrlichkeit der großartigen Alpen-<lb/> natur. Sie fühlte ſich ganz überwältigt und hätte vor Staunen<lb/> über dieſe Wunder Gottes auf die Kniee ſinken mögen. Die Nandl<lb/> aber ſagte: „Gott ſei gelobt für die glückliche Auffahrt!“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
darum wiederholte ſie öfters ihren Lieblingsſpruch, den ſie für
einen ſichern Talisman hielt: „Kreuzſtein! Blutſtein!
Schlag mir kein lebendig’s Bein!“
Der Glockenkuh folgte heute die Heerde mit beſonderem Ge-
horſam, denn auch die noch „unkultivirten“ Kälber waren für dieſen
ſchweren Gang durch ein einfaches Mittel gefügig gemacht, in-
dem man ihnen einige Zeit vorher ein Haar von der Glocken-
kuh eingab, was untrüglich helfen ſoll.
Da und dort wurden durch den Glockenklang Rehe und
Gemſen aus ihrer Ruhe aufgeſcheucht, und mit leichtem Schwung
ſprangen ſie an den Felsklippen empor. Allmälig wurde es
heller, die Vögel ſtimmten ihren Frühgeſang an, und aus den
Blumen und Kräutern, worauf der Thau wie ein perlgeſtickter
Silberſchleier lag, drang ein feiner weißer Hauch und ſtieg zum
Himmel gleich duftendem Weihrauch auf. — Dieſe lieblichen Er-
ſcheinungen der hohen Bergwelt ſtanden aber in grellem Wider-
ſpruch zu den ſchauerlichen, gähnenden Abgründen, woran der
Pfad vorüber führte, und an einem derſelben ſagte die Nandl:
„Gott ſei ihrer armen Seel’ gnädig! Da ſtürzte vor zehn Jahren
die geizige Bäuerin hinunter, welche Haus, Hof und Kind im
Stich ließ, und ſelber oben hüten wollte, weil ſie keiner Sennerin
traute. Mit zerſchmettertem Kopf zog man ſie herauf und ſchleppte
ſie in’s Thal. Dort haben ſie ihr anſtatt der zerbrochenen Hirn-
ſchale eine ſilberne eingeſetzt, und mit dieſer hat ſie noch eine Zeit
lang, aber ohne Verſtand gelebt, dann iſt ſie elend geſtorben.“
Je heller die Sonnenſtrahlen wurden, um ſo grauſiger wurde
der Blick in die ſchwarzen, unergründlichen Tiefen; und immer
höher ging’s hinauf, immer heißer wurde es, den Trägern rann
der Schweiß von der Stirne und alles ſeufzte nach dem Ziel. —
Endlich, endlich gelangt der Zug nach mehrſtündigem Aufſteigen
bei den Sennhütten an, und nun lag mit einemmal vor Reſi’s
Augen die noch nicht gekannte Herrlichkeit der großartigen Alpen-
natur. Sie fühlte ſich ganz überwältigt und hätte vor Staunen
über dieſe Wunder Gottes auf die Kniee ſinken mögen. Die Nandl
aber ſagte: „Gott ſei gelobt für die glückliche Auffahrt!“
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