Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.aus dem Hause mehr trägt als führt, und wie er sie behutsam Er stieg durch die Wolfsschlucht hinauf, und zwar mit aus dem Hauſe mehr trägt als führt, und wie er ſie behutſam Er ſtieg durch die Wolfsſchlucht hinauf, und zwar mit <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0050"/> aus dem Hauſe mehr trägt als führt, und wie er ſie behutſam<lb/> in den Wagen hebt; und nachdem er ihr noch einen voll ge-<lb/> packten Korb gereicht, kommen die Nachbarn und wünſchen eine<lb/> gute Kur. Dann ſteigt auch Franz in den Wagen und fährt<lb/> luſtig davon. Da iſt’s uns wohl klar, daß die Fahrt nach<lb/> Kreuth geht. — Auf dem neuen, guten Königsweg rollt der<lb/> Wagen leicht dahin, und der Kranken wird es immer wohler<lb/> um’s Herz, denn auf das Bad hat ſie ja ihre ganze Hoffnung<lb/> geſetzt. — Sie fahren durch Tegernſee und Rottach, und lenken<lb/> dann zum Thalweg ein, der nach Kreuth führt. Bald darauf<lb/> kann Franz nicht umhin, einen Blick in ein freundliches Dorf<lb/> zur rechten Seite zu werfen. Aber ach! ſie iſt ja nicht darin<lb/> jetzt. — Nach zwei Stunden kamen ſie an’s Ziel, und Franz<lb/> hob die Mutter vorſichtig aus dem Wagen, und führte ſie in<lb/> ein hübſches, kleines Zimmer, das ihr angewieſen wurde. —<lb/> Als das Zimmermädchen kam, um der Kranken das Bett be-<lb/> quem zu machen, verſprach ihr der beſorgte Sohn eine beſondere<lb/> Belohnung, wenn ſie recht <choice><sic>ſchaueu</sic><corr>ſchauen</corr></choice> wolle auf ſeine Mutter.<lb/> Dieſer ſelbſt aber verſprach er, noch den ganzen Tag bei ihr<lb/> zu bleiben, den andern Morgen müſſe er aber ſchon früh heim<lb/> fahren, und deshalb nahm er denn auch am Abend auf drei<lb/> Wochen von ihr Abſchied. — Mit dem Schlafen wollte es aber<lb/> beim Franz gar nicht gehen. Jmmer träumte er von der<lb/> Halſerſpitz, die über ſeinem Haupt zum Himmel ragt, und<lb/> lauter und immer lauter mahnte es ihn, der Resl noch ein<lb/> letztes Lebewohl zu ſagen, ehe er ſie aus dem Herzen reißt.<lb/><hi rendition="#g">Das</hi>, meinte er, könne doch keine Sünde ſein. — Mit dem<lb/> erſten Morgengrauen, als noch alles ſchlief im Bad, ſtand er<lb/> auf und machte ſich auf den Weg.</p><lb/> <p>Er ſtieg durch die Wolfsſchlucht hinauf, und zwar mit<lb/> einer Luſt, daß er die Anſtrengung des mühſamen Pfades kaum<lb/> merkte. — Jn derſelben Nacht konnte aber auch die Resl wieder<lb/> nicht recht ſchlafen, denn noch immer ſah ſie des Michels leiden-<lb/> ſchaftliche Geſichtszüge vor ſich, obwohl ſchon eine Woche ſeit<lb/> jenem Ueberfall verſtrichen war, und nur zu oft mußte ſie<lb/> denken: „was wird er mir alles anthun!“ Dann ſah ſie aber<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
aus dem Hauſe mehr trägt als führt, und wie er ſie behutſam
in den Wagen hebt; und nachdem er ihr noch einen voll ge-
packten Korb gereicht, kommen die Nachbarn und wünſchen eine
gute Kur. Dann ſteigt auch Franz in den Wagen und fährt
luſtig davon. Da iſt’s uns wohl klar, daß die Fahrt nach
Kreuth geht. — Auf dem neuen, guten Königsweg rollt der
Wagen leicht dahin, und der Kranken wird es immer wohler
um’s Herz, denn auf das Bad hat ſie ja ihre ganze Hoffnung
geſetzt. — Sie fahren durch Tegernſee und Rottach, und lenken
dann zum Thalweg ein, der nach Kreuth führt. Bald darauf
kann Franz nicht umhin, einen Blick in ein freundliches Dorf
zur rechten Seite zu werfen. Aber ach! ſie iſt ja nicht darin
jetzt. — Nach zwei Stunden kamen ſie an’s Ziel, und Franz
hob die Mutter vorſichtig aus dem Wagen, und führte ſie in
ein hübſches, kleines Zimmer, das ihr angewieſen wurde. —
Als das Zimmermädchen kam, um der Kranken das Bett be-
quem zu machen, verſprach ihr der beſorgte Sohn eine beſondere
Belohnung, wenn ſie recht ſchauen wolle auf ſeine Mutter.
Dieſer ſelbſt aber verſprach er, noch den ganzen Tag bei ihr
zu bleiben, den andern Morgen müſſe er aber ſchon früh heim
fahren, und deshalb nahm er denn auch am Abend auf drei
Wochen von ihr Abſchied. — Mit dem Schlafen wollte es aber
beim Franz gar nicht gehen. Jmmer träumte er von der
Halſerſpitz, die über ſeinem Haupt zum Himmel ragt, und
lauter und immer lauter mahnte es ihn, der Resl noch ein
letztes Lebewohl zu ſagen, ehe er ſie aus dem Herzen reißt.
Das, meinte er, könne doch keine Sünde ſein. — Mit dem
erſten Morgengrauen, als noch alles ſchlief im Bad, ſtand er
auf und machte ſich auf den Weg.
Er ſtieg durch die Wolfsſchlucht hinauf, und zwar mit
einer Luſt, daß er die Anſtrengung des mühſamen Pfades kaum
merkte. — Jn derſelben Nacht konnte aber auch die Resl wieder
nicht recht ſchlafen, denn noch immer ſah ſie des Michels leiden-
ſchaftliche Geſichtszüge vor ſich, obwohl ſchon eine Woche ſeit
jenem Ueberfall verſtrichen war, und nur zu oft mußte ſie
denken: „was wird er mir alles anthun!“ Dann ſah ſie aber
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