Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

auch wieder im Traume ihr verkohltes Bildstöckel, und die
Muttergottes mit dem lächelnden Jesus auf dem Arm schaute
so mild auf sie, daß sie am Morgen dachte: "Was er auch
immer Böses ausdenken mag, ich stehe ja in Gottes Hand!"

Heute war der Vorabend des Muttergottesfestes: da stand
die Resl schon vor 4 Uhr auf, that ihre Arbeit, und dann
band sie zwei schöne Weihbüschel. Einen für ihre Dorfkirche,
den andern für ihr wunderbares Marienbild. Als sie den
Strauß in einem Krug mit frischem Wasser eben davor nieder-
stellte, -- da glaubte sie plötzlich aus der Tiefe menschliche
Tritte zu vernehmen. "Jesus, Maria!" rief sie, "wenn's der
Michel wär'!" Sie bog sich hinab und lauschte. Da sah sie
aber, daß es nicht die kurze, dicke Gestalt des Michels war,
sondern eine hohe, schlanke, die jetzt auf dem letzten Vorsprung
erschien. Noch wußte sie nicht, wer es ist; sie stimmte aber
den üblichen Jodler an, welcher ertönt, wenn nach langer Zeit
ein Besuch der Alpe naht. Die Antwort war ein fröhliches
Lied, -- und dieses Lied, diese Stimme! -- Beides war ihr
so bekannt, -- aber ehe sie darüber nachdenken konnte, machte
Franz noch einen Sprung, stand plötzlich vor ihr und schüttelte
ihre beiden Hände mit einem herzgewinnenden: "Gott grüß'
dich, liebe Resl!" "Du bist's, Franz!" sagte sie halb er-
schrocken, halb erfreut. "Was hast denn du da heroben zu
thun?" "Was ich da heroben zu thun hab'?" -- antwortete
Franz etwas verlegen, -- "ich hab' meine kranke Mutter in's
Bad gefahren, wo sie vom König einen Freiplatz bekommen
hat, und da ist mir so unversehens der Gedanke gekommen:
"schau', auf der Halserpitz könnt'st du einen recht schönen Weih-
büschel brocken." -- "Ei, was", meinte die Resl, "der wachst
doch gewiß auch in Gmund". "Das ist freilich wahr. Aeber
weißt', Resl, wenn ich ganz aufrichtig sein soll, -- ich hab's
halt nimmer ausgehalten, so viel ich mich auch dagegen gewehrt
hab', ich hab' einmal schauen müssen, wie's dir geht, und --
ich kann nicht anders, ich muß dir's sagen, daß ich halt das
schöne Fest gar nicht vergessen kann, weißt' Resl, wo du meine
Braut vorgestellt hast." Die Resl suchte ihre gewohnte Ge-

auch wieder im Traume ihr verkohltes Bildſtöckel, und die
Muttergottes mit dem lächelnden Jeſus auf dem Arm ſchaute
ſo mild auf ſie, daß ſie am Morgen dachte: „Was er auch
immer Böſes ausdenken mag, ich ſtehe ja in Gottes Hand!“

Heute war der Vorabend des Muttergottesfeſtes: da ſtand
die Resl ſchon vor 4 Uhr auf, that ihre Arbeit, und dann
band ſie zwei ſchöne Weihbüſchel. Einen für ihre Dorfkirche,
den andern für ihr wunderbares Marienbild. Als ſie den
Strauß in einem Krug mit friſchem Waſſer eben davor nieder-
ſtellte, — da glaubte ſie plötzlich aus der Tiefe menſchliche
Tritte zu vernehmen. „Jeſus, Maria!“ rief ſie, „wenn’s der
Michel wär’!“ Sie bog ſich hinab und lauſchte. Da ſah ſie
aber, daß es nicht die kurze, dicke Geſtalt des Michels war,
ſondern eine hohe, ſchlanke, die jetzt auf dem letzten Vorſprung
erſchien. Noch wußte ſie nicht, wer es iſt; ſie ſtimmte aber
den üblichen Jodler an, welcher ertönt, wenn nach langer Zeit
ein Beſuch der Alpe naht. Die Antwort war ein fröhliches
Lied, — und dieſes Lied, dieſe Stimme! — Beides war ihr
ſo bekannt, — aber ehe ſie darüber nachdenken konnte, machte
Franz noch einen Sprung, ſtand plötzlich vor ihr und ſchüttelte
ihre beiden Hände mit einem herzgewinnenden: „Gott grüß’
dich, liebe Resl!“ „Du biſt’s, Franz!“ ſagte ſie halb er-
ſchrocken, halb erfreut. „Was haſt denn du da heroben zu
thun?“ „Was ich da heroben zu thun hab’?“ — antwortete
Franz etwas verlegen, — „ich hab’ meine kranke Mutter in’s
Bad gefahren, wo ſie vom König einen Freiplatz bekommen
hat, und da iſt mir ſo unverſehens der Gedanke gekommen:
„ſchau’, auf der Halſerpitz könnt’ſt du einen recht ſchönen Weih-
büſchel brocken.“ — „Ei, was“, meinte die Resl, „der wachſt
doch gewiß auch in Gmund“. „Das iſt freilich wahr. Aeber
weißt’, Resl, wenn ich ganz aufrichtig ſein ſoll, — ich hab’s
halt nimmer ausgehalten, ſo viel ich mich auch dagegen gewehrt
hab’, ich hab’ einmal ſchauen müſſen, wie’s dir geht, und —
ich kann nicht anders, ich muß dir’s ſagen, daß ich halt das
ſchöne Feſt gar nicht vergeſſen kann, weißt’ Resl, wo du meine
Braut vorgeſtellt haſt.“ Die Resl ſuchte ihre gewohnte Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <p><pb facs="#f0051"/>
auch wieder im Traume ihr verkohltes Bild&#x017F;töckel, und die<lb/>
Muttergottes mit dem lächelnden Je&#x017F;us auf dem Arm &#x017F;chaute<lb/>
&#x017F;o mild auf &#x017F;ie, daß &#x017F;ie am Morgen dachte: &#x201E;Was er auch<lb/>
immer Bö&#x017F;es ausdenken mag, ich &#x017F;tehe ja in Gottes Hand!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Heute war der Vorabend des Muttergottesfe&#x017F;tes: da &#x017F;tand<lb/>
die Resl &#x017F;chon vor 4 Uhr auf, that ihre Arbeit, und dann<lb/>
band &#x017F;ie zwei &#x017F;chöne Weihbü&#x017F;chel. Einen für ihre Dorfkirche,<lb/>
den andern für ihr wunderbares Marienbild. Als &#x017F;ie den<lb/>
Strauß in einem Krug mit fri&#x017F;chem Wa&#x017F;&#x017F;er eben davor nieder-<lb/>
&#x017F;tellte, &#x2014; da glaubte &#x017F;ie plötzlich aus der Tiefe men&#x017F;chliche<lb/>
Tritte zu vernehmen. &#x201E;Je&#x017F;us, Maria!&#x201C; rief &#x017F;ie, &#x201E;wenn&#x2019;s der<lb/>
Michel wär&#x2019;!&#x201C; Sie bog &#x017F;ich hinab und lau&#x017F;chte. Da &#x017F;ah &#x017F;ie<lb/>
aber, daß es nicht die kurze, dicke Ge&#x017F;talt des Michels war,<lb/>
&#x017F;ondern eine hohe, &#x017F;chlanke, die jetzt auf dem letzten Vor&#x017F;prung<lb/>
er&#x017F;chien. Noch wußte &#x017F;ie nicht, wer es i&#x017F;t; &#x017F;ie &#x017F;timmte aber<lb/>
den üblichen Jodler an, welcher ertönt, wenn nach langer Zeit<lb/>
ein Be&#x017F;uch der Alpe naht. Die Antwort war ein fröhliches<lb/>
Lied, &#x2014; und die&#x017F;es Lied, die&#x017F;e Stimme! &#x2014; Beides war ihr<lb/>
&#x017F;o bekannt, &#x2014; aber ehe &#x017F;ie darüber nachdenken konnte, machte<lb/>
Franz noch einen Sprung, &#x017F;tand plötzlich vor ihr und &#x017F;chüttelte<lb/>
ihre beiden Hände mit einem herzgewinnenden: &#x201E;Gott grüß&#x2019;<lb/>
dich, liebe Resl!&#x201C; &#x201E;Du bi&#x017F;t&#x2019;s, Franz!&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie halb er-<lb/>
&#x017F;chrocken, halb erfreut. &#x201E;Was ha&#x017F;t denn <hi rendition="#g">du</hi> da heroben zu<lb/>
thun?&#x201C; &#x201E;Was ich da heroben zu thun hab&#x2019;?&#x201C; &#x2014; antwortete<lb/>
Franz etwas verlegen, &#x2014; &#x201E;ich hab&#x2019; meine kranke Mutter in&#x2019;s<lb/>
Bad gefahren, wo &#x017F;ie vom König einen Freiplatz bekommen<lb/>
hat, und da i&#x017F;t mir &#x017F;o unver&#x017F;ehens der Gedanke gekommen:<lb/>
&#x201E;&#x017F;chau&#x2019;, auf der Hal&#x017F;erpitz könnt&#x2019;&#x017F;t du einen recht &#x017F;chönen Weih-<lb/>&#x017F;chel brocken.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ei, was&#x201C;, meinte die Resl, &#x201E;der wach&#x017F;t<lb/>
doch gewiß auch in Gmund&#x201C;. &#x201E;Das i&#x017F;t freilich wahr. Aeber<lb/>
weißt&#x2019;, Resl, wenn ich ganz aufrichtig &#x017F;ein &#x017F;oll, &#x2014; ich hab&#x2019;s<lb/>
halt nimmer ausgehalten, &#x017F;o viel ich mich auch dagegen gewehrt<lb/>
hab&#x2019;, ich hab&#x2019; einmal &#x017F;chauen mü&#x017F;&#x017F;en, wie&#x2019;s dir geht, und &#x2014;<lb/>
ich kann nicht anders, ich <hi rendition="#g">muß</hi> dir&#x2019;s &#x017F;agen, daß ich halt das<lb/>
&#x017F;chöne Fe&#x017F;t gar nicht verge&#x017F;&#x017F;en kann, weißt&#x2019; Resl, wo du meine<lb/>
Braut vorge&#x017F;tellt ha&#x017F;t.&#x201C; Die Resl &#x017F;uchte ihre gewohnte Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] auch wieder im Traume ihr verkohltes Bildſtöckel, und die Muttergottes mit dem lächelnden Jeſus auf dem Arm ſchaute ſo mild auf ſie, daß ſie am Morgen dachte: „Was er auch immer Böſes ausdenken mag, ich ſtehe ja in Gottes Hand!“ Heute war der Vorabend des Muttergottesfeſtes: da ſtand die Resl ſchon vor 4 Uhr auf, that ihre Arbeit, und dann band ſie zwei ſchöne Weihbüſchel. Einen für ihre Dorfkirche, den andern für ihr wunderbares Marienbild. Als ſie den Strauß in einem Krug mit friſchem Waſſer eben davor nieder- ſtellte, — da glaubte ſie plötzlich aus der Tiefe menſchliche Tritte zu vernehmen. „Jeſus, Maria!“ rief ſie, „wenn’s der Michel wär’!“ Sie bog ſich hinab und lauſchte. Da ſah ſie aber, daß es nicht die kurze, dicke Geſtalt des Michels war, ſondern eine hohe, ſchlanke, die jetzt auf dem letzten Vorſprung erſchien. Noch wußte ſie nicht, wer es iſt; ſie ſtimmte aber den üblichen Jodler an, welcher ertönt, wenn nach langer Zeit ein Beſuch der Alpe naht. Die Antwort war ein fröhliches Lied, — und dieſes Lied, dieſe Stimme! — Beides war ihr ſo bekannt, — aber ehe ſie darüber nachdenken konnte, machte Franz noch einen Sprung, ſtand plötzlich vor ihr und ſchüttelte ihre beiden Hände mit einem herzgewinnenden: „Gott grüß’ dich, liebe Resl!“ „Du biſt’s, Franz!“ ſagte ſie halb er- ſchrocken, halb erfreut. „Was haſt denn du da heroben zu thun?“ „Was ich da heroben zu thun hab’?“ — antwortete Franz etwas verlegen, — „ich hab’ meine kranke Mutter in’s Bad gefahren, wo ſie vom König einen Freiplatz bekommen hat, und da iſt mir ſo unverſehens der Gedanke gekommen: „ſchau’, auf der Halſerpitz könnt’ſt du einen recht ſchönen Weih- büſchel brocken.“ — „Ei, was“, meinte die Resl, „der wachſt doch gewiß auch in Gmund“. „Das iſt freilich wahr. Aeber weißt’, Resl, wenn ich ganz aufrichtig ſein ſoll, — ich hab’s halt nimmer ausgehalten, ſo viel ich mich auch dagegen gewehrt hab’, ich hab’ einmal ſchauen müſſen, wie’s dir geht, und — ich kann nicht anders, ich muß dir’s ſagen, daß ich halt das ſchöne Feſt gar nicht vergeſſen kann, weißt’ Resl, wo du meine Braut vorgeſtellt haſt.“ Die Resl ſuchte ihre gewohnte Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T10:39:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T10:39:18Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/51
Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/51>, abgerufen am 21.11.2024.