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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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Preis des Dichters wie des Musikers, ein Preis der nicht im-
mer jedem Verdienste gefällt (wie manche Blume wird zertreten,
aber das frische Wiesengras bringt tausend), aber auf lan-
ge Zeit gar nicht erschlichen werden kann, so daß jedes hundert-
jährige Lied des Volkes entweder im Sinn oder in Melodie, ge-
wöhnlich in beyden tauget. --

Und als ich dieses feste Fundament noch unter den Wellen,
die alten Straßen und Plätze der versunkenen Stadt noch durch-
schimmern sah, da hörte ich auf, mich über die großentheils
mislungenen Versuche vieler Dichter und Musiker, besonders
des Theaterwesens zu ärgern. Vielleicht würde einmal das Vor-
treffliche sonst gar nicht entstehen, gar nicht verstanden werden!
Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine ist
Blüte das andre Blat, das dritte seine schmierige Wurzelfasern,
alle drey müssen vorhanden seyn, auch die saubern Früchtchen,
die abfallen. Störend und schlecht ist nur das Verkehrte in sich,
der Baum mit der Krone eingepflanzt, er muß eine neue Krone,
eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein dürrer Stab. Die-
ser Art von wahrer Störung ist die Beschränkung aller Theater-
erscheinungen in Klassen und für Klassen der bürgerlichen Gesell-

"Kurzweil wüste, denn die liebliche Musik, daß alle andere Kurzweile,
"als Spielen, Fechten, Ringen, Springen, dahin gericht wären, daß
"sich ein jeder nur aufs beste befließe, damit er dem, mit welchem er
"solch Kurzweil übet, möchte überliegen, angewinnen, und zu bevor-
"theilen, daraus denn mancher Unrath und Zank und Hader entsprin-
"ge. Die Musik aber hat kein andres Fürhaben, denn
"daß sie gedächte, wie sie nur die Einigkeit der Stim-
"men mit allem Fleiß möchte erhalten, und aller Miß-
"hellung wehren."
Der schönen Auswahl dieses Mannes dankt unsre Sammlung meh-
rere der besten Lieder, woraus zu ersehen, daß Verdienst nicht unter-
gehen kann.

Preis des Dichters wie des Muſikers, ein Preis der nicht im-
mer jedem Verdienſte gefaͤllt (wie manche Blume wird zertreten,
aber das friſche Wieſengras bringt tauſend), aber auf lan-
ge Zeit gar nicht erſchlichen werden kann, ſo daß jedes hundert-
jaͤhrige Lied des Volkes entweder im Sinn oder in Melodie, ge-
woͤhnlich in beyden tauget. —

Und als ich dieſes feſte Fundament noch unter den Wellen,
die alten Straßen und Plaͤtze der verſunkenen Stadt noch durch-
ſchimmern ſah, da hoͤrte ich auf, mich uͤber die großentheils
mislungenen Verſuche vieler Dichter und Muſiker, beſonders
des Theaterweſens zu aͤrgern. Vielleicht wuͤrde einmal das Vor-
treffliche ſonſt gar nicht entſtehen, gar nicht verſtanden werden!
Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine iſt
Bluͤte das andre Blat, das dritte ſeine ſchmierige Wurzelfaſern,
alle drey muͤſſen vorhanden ſeyn, auch die ſaubern Fruͤchtchen,
die abfallen. Stoͤrend und ſchlecht iſt nur das Verkehrte in ſich,
der Baum mit der Krone eingepflanzt, er muß eine neue Krone,
eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein duͤrrer Stab. Die-
ſer Art von wahrer Stoͤrung iſt die Beſchraͤnkung aller Theater-
erſcheinungen in Klaſſen und fuͤr Klaſſen der buͤrgerlichen Geſell-

„Kurzweil wuͤſte, denn die liebliche Muſik, daß alle andere Kurzweile,
„als Spielen, Fechten, Ringen, Springen, dahin gericht waͤren, daß
„ſich ein jeder nur aufs beſte befließe, damit er dem, mit welchem er
„ſolch Kurzweil uͤbet, moͤchte uͤberliegen, angewinnen, und zu bevor-
„theilen, daraus denn mancher Unrath und Zank und Hader entſprin-
„ge. Die Muſik aber hat kein andres Fuͤrhaben, denn
daß ſie gedaͤchte, wie ſie nur die Einigkeit der Stim-
men mit allem Fleiß moͤchte erhalten, und aller Miß-
hellung wehren.“
Der ſchoͤnen Auswahl dieſes Mannes dankt unſre Sammlung meh-
rere der beſten Lieder, woraus zu erſehen, daß Verdienſt nicht unter-
gehen kann.
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[430[440]/0449] Preis des Dichters wie des Muſikers, ein Preis der nicht im- mer jedem Verdienſte gefaͤllt (wie manche Blume wird zertreten, aber das friſche Wieſengras bringt tauſend), aber auf lan- ge Zeit gar nicht erſchlichen werden kann, ſo daß jedes hundert- jaͤhrige Lied des Volkes entweder im Sinn oder in Melodie, ge- woͤhnlich in beyden tauget. — Und als ich dieſes feſte Fundament noch unter den Wellen, die alten Straßen und Plaͤtze der verſunkenen Stadt noch durch- ſchimmern ſah, da hoͤrte ich auf, mich uͤber die großentheils mislungenen Verſuche vieler Dichter und Muſiker, beſonders des Theaterweſens zu aͤrgern. Vielleicht wuͤrde einmal das Vor- treffliche ſonſt gar nicht entſtehen, gar nicht verſtanden werden! Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine iſt Bluͤte das andre Blat, das dritte ſeine ſchmierige Wurzelfaſern, alle drey muͤſſen vorhanden ſeyn, auch die ſaubern Fruͤchtchen, die abfallen. Stoͤrend und ſchlecht iſt nur das Verkehrte in ſich, der Baum mit der Krone eingepflanzt, er muß eine neue Krone, eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein duͤrrer Stab. Die- ſer Art von wahrer Stoͤrung iſt die Beſchraͤnkung aller Theater- erſcheinungen in Klaſſen und fuͤr Klaſſen der buͤrgerlichen Geſell- *) *) „Kurzweil wuͤſte, denn die liebliche Muſik, daß alle andere Kurzweile, „als Spielen, Fechten, Ringen, Springen, dahin gericht waͤren, daß „ſich ein jeder nur aufs beſte befließe, damit er dem, mit welchem er „ſolch Kurzweil uͤbet, moͤchte uͤberliegen, angewinnen, und zu bevor- „theilen, daraus denn mancher Unrath und Zank und Hader entſprin- „ge. Die Muſik aber hat kein andres Fuͤrhaben, denn „daß ſie gedaͤchte, wie ſie nur die Einigkeit der Stim- „men mit allem Fleiß moͤchte erhalten, und aller Miß- „hellung wehren.“ Der ſchoͤnen Auswahl dieſes Mannes dankt unſre Sammlung meh- rere der beſten Lieder, woraus zu erſehen, daß Verdienſt nicht unter- gehen kann.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 430[440]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/449>, abgerufen am 22.11.2024.