Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Gespräche im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder
zusammen, sich gleich wieder verstehen durch Aneignen und Wei-
terstreben, wenn auch in jedem das Gespräch sich anders gewen-
det. -- Hinter dem Vornehmen Anstande, hinter der vornehmen
Sprache versteckt, scheiden sie sich von dem Theile des Volks,
der allein noch die Gewalt der Begeisterung ganz und unbe-
schränkt ertragen kann, ohne sich zu entladen, in Nullheit oder
Tollheit. Unsre heutige Theater und Konzert-Theilnehmer,
wie würden sie auseinander springen, bey wahrer reiner Kunst-
höhe, sie würden umsinken in der reinen Bergluft, oder fühl-
los erstarren. Ruft nicht diesen Ton, ihren eigenen menschlichen
Ton hinein ihr Sänger, sie würden springen wie Gläser, die
tausendmal an einander gestoßen, doch nur zersungen werden
können mit ihrem Ton! -- Sey ruhig gutes Publikum, den
Ton haben deine Sänger längst verloren, das Lebende von dem
Todten zu scheiden, dabey kannst du noch das Heil deiner schlaf-
fen Seele in (dem englischen Salzfläschchen) ihrer höheren Kritik
suchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze
Welt packen und sie in der Gravitation zwischen Ernährung
und Zeugung erhalten, worin ihr wie Mücken spielt. -- Mit
großer Bravur können wohl diese vortrefflichen Kunstsänger
ihren Kram ausschreien und ausstöhnen, man versuche sie nur
nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Unächte, laßt sie
auch nicht mit einander reden, sie singen wohl noch mit ein-
ander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder
haben ihre Sangstücke so unbedeutenden Charakter, daß er gar
nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Ver-
stande davon kämen, wir würden sie hinunter jagen von ihren
Bretern, und uns lieber selbst hinstellen, zu singen, was uns
einfiele und allen wohlgefiele, Ball schlagen, ringen springen
und trinken auf ihre Gesundheit. -- Wollt ihr Sänger uns mit

lichen Geſpraͤche im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder
zuſammen, ſich gleich wieder verſtehen durch Aneignen und Wei-
terſtreben, wenn auch in jedem das Geſpraͤch ſich anders gewen-
det. — Hinter dem Vornehmen Anſtande, hinter der vornehmen
Sprache verſteckt, ſcheiden ſie ſich von dem Theile des Volks,
der allein noch die Gewalt der Begeiſterung ganz und unbe-
ſchraͤnkt ertragen kann, ohne ſich zu entladen, in Nullheit oder
Tollheit. Unſre heutige Theater und Konzert-Theilnehmer,
wie wuͤrden ſie auseinander ſpringen, bey wahrer reiner Kunſt-
hoͤhe, ſie wuͤrden umſinken in der reinen Bergluft, oder fuͤhl-
los erſtarren. Ruft nicht dieſen Ton, ihren eigenen menſchlichen
Ton hinein ihr Saͤnger, ſie wuͤrden ſpringen wie Glaͤſer, die
tauſendmal an einander geſtoßen, doch nur zerſungen werden
koͤnnen mit ihrem Ton! — Sey ruhig gutes Publikum, den
Ton haben deine Saͤnger laͤngſt verloren, das Lebende von dem
Todten zu ſcheiden, dabey kannſt du noch das Heil deiner ſchlaf-
fen Seele in (dem engliſchen Salzflaͤſchchen) ihrer hoͤheren Kritik
ſuchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze
Welt packen und ſie in der Gravitation zwiſchen Ernaͤhrung
und Zeugung erhalten, worin ihr wie Muͤcken ſpielt. — Mit
großer Bravur koͤnnen wohl dieſe vortrefflichen Kunſtſaͤnger
ihren Kram ausſchreien und ausſtoͤhnen, man verſuche ſie nur
nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Unaͤchte, laßt ſie
auch nicht mit einander reden, ſie ſingen wohl noch mit ein-
ander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder
haben ihre Sangſtuͤcke ſo unbedeutenden Charakter, daß er gar
nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Ver-
ſtande davon kaͤmen, wir wuͤrden ſie hinunter jagen von ihren
Bretern, und uns lieber ſelbſt hinſtellen, zu ſingen, was uns
einfiele und allen wohlgefiele, Ball ſchlagen, ringen ſpringen
und trinken auf ihre Geſundheit. — Wollt ihr Saͤnger uns mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0451" n="432[442]"/>
lichen Ge&#x017F;pra&#x0364;che im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder<lb/>
zu&#x017F;ammen, &#x017F;ich gleich wieder ver&#x017F;tehen durch Aneignen und Wei-<lb/>
ter&#x017F;treben, wenn auch in jedem das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch &#x017F;ich anders gewen-<lb/>
det. &#x2014; Hinter dem Vornehmen An&#x017F;tande, hinter der vornehmen<lb/>
Sprache ver&#x017F;teckt, &#x017F;cheiden &#x017F;ie &#x017F;ich von dem Theile des Volks,<lb/>
der allein noch die Gewalt der Begei&#x017F;terung ganz und unbe-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkt ertragen kann, ohne &#x017F;ich zu entladen, in Nullheit oder<lb/>
Tollheit. Un&#x017F;re heutige Theater und Konzert-Theilnehmer,<lb/>
wie wu&#x0364;rden &#x017F;ie auseinander &#x017F;pringen, bey wahrer reiner Kun&#x017F;t-<lb/>
ho&#x0364;he, &#x017F;ie wu&#x0364;rden um&#x017F;inken in der reinen Bergluft, oder fu&#x0364;hl-<lb/>
los er&#x017F;tarren. Ruft nicht die&#x017F;en Ton, ihren eigenen men&#x017F;chlichen<lb/>
Ton hinein ihr Sa&#x0364;nger, &#x017F;ie wu&#x0364;rden &#x017F;pringen wie Gla&#x0364;&#x017F;er, die<lb/>
tau&#x017F;endmal an einander ge&#x017F;toßen, doch nur zer&#x017F;ungen werden<lb/>
ko&#x0364;nnen mit ihrem Ton! &#x2014; Sey ruhig gutes Publikum, den<lb/>
Ton haben deine Sa&#x0364;nger la&#x0364;ng&#x017F;t verloren, das Lebende von dem<lb/>
Todten zu &#x017F;cheiden, dabey kann&#x017F;t du noch das Heil deiner &#x017F;chlaf-<lb/>
fen Seele in (dem engli&#x017F;chen Salzfla&#x0364;&#x017F;chchen) ihrer ho&#x0364;heren Kritik<lb/>
&#x017F;uchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze<lb/>
Welt packen und &#x017F;ie in der Gravitation zwi&#x017F;chen Erna&#x0364;hrung<lb/>
und Zeugung erhalten, worin ihr wie Mu&#x0364;cken &#x017F;pielt. &#x2014; Mit<lb/>
großer Bravur ko&#x0364;nnen wohl die&#x017F;e vortrefflichen Kun&#x017F;t&#x017F;a&#x0364;nger<lb/>
ihren Kram aus&#x017F;chreien und aus&#x017F;to&#x0364;hnen, man ver&#x017F;uche &#x017F;ie nur<lb/>
nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Una&#x0364;chte, laßt &#x017F;ie<lb/>
auch nicht mit einander reden, &#x017F;ie &#x017F;ingen wohl noch mit ein-<lb/>
ander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder<lb/>
haben ihre Sang&#x017F;tu&#x0364;cke &#x017F;o unbedeutenden Charakter, daß er gar<lb/>
nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Ver-<lb/>
&#x017F;tande davon ka&#x0364;men, wir wu&#x0364;rden &#x017F;ie hinunter jagen von ihren<lb/>
Bretern, und uns lieber &#x017F;elb&#x017F;t hin&#x017F;tellen, zu &#x017F;ingen, was uns<lb/>
einfiele und allen wohlgefiele, Ball &#x017F;chlagen, ringen &#x017F;pringen<lb/>
und trinken auf ihre Ge&#x017F;undheit. &#x2014; Wollt ihr Sa&#x0364;nger uns mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[432[442]/0451] lichen Geſpraͤche im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder zuſammen, ſich gleich wieder verſtehen durch Aneignen und Wei- terſtreben, wenn auch in jedem das Geſpraͤch ſich anders gewen- det. — Hinter dem Vornehmen Anſtande, hinter der vornehmen Sprache verſteckt, ſcheiden ſie ſich von dem Theile des Volks, der allein noch die Gewalt der Begeiſterung ganz und unbe- ſchraͤnkt ertragen kann, ohne ſich zu entladen, in Nullheit oder Tollheit. Unſre heutige Theater und Konzert-Theilnehmer, wie wuͤrden ſie auseinander ſpringen, bey wahrer reiner Kunſt- hoͤhe, ſie wuͤrden umſinken in der reinen Bergluft, oder fuͤhl- los erſtarren. Ruft nicht dieſen Ton, ihren eigenen menſchlichen Ton hinein ihr Saͤnger, ſie wuͤrden ſpringen wie Glaͤſer, die tauſendmal an einander geſtoßen, doch nur zerſungen werden koͤnnen mit ihrem Ton! — Sey ruhig gutes Publikum, den Ton haben deine Saͤnger laͤngſt verloren, das Lebende von dem Todten zu ſcheiden, dabey kannſt du noch das Heil deiner ſchlaf- fen Seele in (dem engliſchen Salzflaͤſchchen) ihrer hoͤheren Kritik ſuchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze Welt packen und ſie in der Gravitation zwiſchen Ernaͤhrung und Zeugung erhalten, worin ihr wie Muͤcken ſpielt. — Mit großer Bravur koͤnnen wohl dieſe vortrefflichen Kunſtſaͤnger ihren Kram ausſchreien und ausſtoͤhnen, man verſuche ſie nur nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Unaͤchte, laßt ſie auch nicht mit einander reden, ſie ſingen wohl noch mit ein- ander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder haben ihre Sangſtuͤcke ſo unbedeutenden Charakter, daß er gar nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Ver- ſtande davon kaͤmen, wir wuͤrden ſie hinunter jagen von ihren Bretern, und uns lieber ſelbſt hinſtellen, zu ſingen, was uns einfiele und allen wohlgefiele, Ball ſchlagen, ringen ſpringen und trinken auf ihre Geſundheit. — Wollt ihr Saͤnger uns mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/451
Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 432[442]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/451>, abgerufen am 21.11.2024.