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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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mehr für die Einwohner, sondern als Idee vorhanden seyn,
manches Volk kannte seinen eignen Namen nicht mehr und wo
ein Staat sich selbst geboren, da sah man, daß die andern ei-
gentlich nur noch Namen waren. Dieses Elendseyn wurde so
auffallend, wie aus wurmstichigem Holze der gelbe Staub, allen
hing es an, die auch vom Holze keinen Splitter, die Sentimen-
talität war nur eine Färbung, ganz erscheint es in der kläglichen
Sprache der niedern Stände vieler Gegenden. Weisheit wurde
es den freudigen Augenblick wie Unglückszeichen zu meiden,
während seiner festesten Dauer sein Vergehen voraus zu sehen,
und den künftigen hellen Blick des Glückes zu trüben, mit der
Erinnerung, es gab noch einen helleren. Jeder wuste über sein
Leben etwas zu sagen, nur hatte keiner Leben, so wurde das Le-
ben verachtet, der Tod gefürchtet, und die Gentalität bey dieser
Aermlichkeit in Vollerey gesezt *). So war diese eitle Weis-

*) Es würde angenehm lauten, alles durchzugehen, was zu verschiedenen
Zeiten genialisch genannt worden, wo aus dem zersplitterten Geiste
der lebende Baum entwickelt wurde: Kennen doch viele erst seine Fe-
stigkeit aus dem Gewichte, wodurch es zerreißt. Dem Takte nach sezte
man Genie in schnelle, stoßweise, wenn gleich noch so unbedeutende
Produktion, in pralende Schwatzhaftigkeit, und unvermögende Plan-
macherey, sein Boden schien der Schmutz jeder Art, den Vorüberziehen-
den muste es seine Früchte auf den Kopf fallen lassen, in allem Sturm
seine Blätter schlaff und jämmerlich senken, in der Ruhe immer rau-
schen, als wenn ein Sturm ginge. Die Vögel die zutraulich darauf
nisteten tückisch hinunter werfen, schnell empor in falsches unbrauchbares
Holz muste es schießen, um schnell zu fallen. Wer verwundert sich nach
solchen Antichristen Talent verhaßt, Nichtigkeit geehrt zu finden. Die
Wortspielerey unsrer Zeit hat Kunst und Genie einander entgegen-
gesezt; viel Kunst und wenig Genie, wird von den elendesten Nach-
ahmereyen gesagt. Keiner ist ohne Genie, wenn gleich manche Werke der
ohne sind, der eine kann die Tropfen zählen, dem andern ists ein Platz-

mehr fuͤr die Einwohner, ſondern als Idee vorhanden ſeyn,
manches Volk kannte ſeinen eignen Namen nicht mehr und wo
ein Staat ſich ſelbſt geboren, da ſah man, daß die andern ei-
gentlich nur noch Namen waren. Dieſes Elendſeyn wurde ſo
auffallend, wie aus wurmſtichigem Holze der gelbe Staub, allen
hing es an, die auch vom Holze keinen Splitter, die Sentimen-
talitaͤt war nur eine Faͤrbung, ganz erſcheint es in der klaͤglichen
Sprache der niedern Staͤnde vieler Gegenden. Weisheit wurde
es den freudigen Augenblick wie Ungluͤckszeichen zu meiden,
waͤhrend ſeiner feſteſten Dauer ſein Vergehen voraus zu ſehen,
und den kuͤnftigen hellen Blick des Gluͤckes zu truͤben, mit der
Erinnerung, es gab noch einen helleren. Jeder wuſte uͤber ſein
Leben etwas zu ſagen, nur hatte keiner Leben, ſo wurde das Le-
ben verachtet, der Tod gefuͤrchtet, und die Gentalitaͤt bey dieſer
Aermlichkeit in Vollerey geſezt *). So war dieſe eitle Weis-

*) Es wuͤrde angenehm lauten, alles durchzugehen, was zu verſchiedenen
Zeiten genialiſch genannt worden, wo aus dem zerſplitterten Geiſte
der lebende Baum entwickelt wurde: Kennen doch viele erſt ſeine Fe-
ſtigkeit aus dem Gewichte, wodurch es zerreißt. Dem Takte nach ſezte
man Genie in ſchnelle, ſtoßweiſe, wenn gleich noch ſo unbedeutende
Produktion, in pralende Schwatzhaftigkeit, und unvermoͤgende Plan-
macherey, ſein Boden ſchien der Schmutz jeder Art, den Voruͤberziehen-
den muſte es ſeine Fruͤchte auf den Kopf fallen laſſen, in allem Sturm
ſeine Blaͤtter ſchlaff und jaͤmmerlich ſenken, in der Ruhe immer rau-
ſchen, als wenn ein Sturm ginge. Die Voͤgel die zutraulich darauf
niſteten tuͤckiſch hinunter werfen, ſchnell empor in falſches unbrauchbares
Holz muſte es ſchießen, um ſchnell zu fallen. Wer verwundert ſich nach
ſolchen Antichriſten Talent verhaßt, Nichtigkeit geehrt zu finden. Die
Wortſpielerey unſrer Zeit hat Kunſt und Genie einander entgegen-
geſezt; viel Kunſt und wenig Genie, wird von den elendeſten Nach-
ahmereyen geſagt. Keiner iſt ohne Genie, wenn gleich manche Werke der
ohne ſind, der eine kann die Tropfen zaͤhlen, dem andern iſts ein Platz-
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[436[446]/0455] mehr fuͤr die Einwohner, ſondern als Idee vorhanden ſeyn, manches Volk kannte ſeinen eignen Namen nicht mehr und wo ein Staat ſich ſelbſt geboren, da ſah man, daß die andern ei- gentlich nur noch Namen waren. Dieſes Elendſeyn wurde ſo auffallend, wie aus wurmſtichigem Holze der gelbe Staub, allen hing es an, die auch vom Holze keinen Splitter, die Sentimen- talitaͤt war nur eine Faͤrbung, ganz erſcheint es in der klaͤglichen Sprache der niedern Staͤnde vieler Gegenden. Weisheit wurde es den freudigen Augenblick wie Ungluͤckszeichen zu meiden, waͤhrend ſeiner feſteſten Dauer ſein Vergehen voraus zu ſehen, und den kuͤnftigen hellen Blick des Gluͤckes zu truͤben, mit der Erinnerung, es gab noch einen helleren. Jeder wuſte uͤber ſein Leben etwas zu ſagen, nur hatte keiner Leben, ſo wurde das Le- ben verachtet, der Tod gefuͤrchtet, und die Gentalitaͤt bey dieſer Aermlichkeit in Vollerey geſezt *). So war dieſe eitle Weis- *) Es wuͤrde angenehm lauten, alles durchzugehen, was zu verſchiedenen Zeiten genialiſch genannt worden, wo aus dem zerſplitterten Geiſte der lebende Baum entwickelt wurde: Kennen doch viele erſt ſeine Fe- ſtigkeit aus dem Gewichte, wodurch es zerreißt. Dem Takte nach ſezte man Genie in ſchnelle, ſtoßweiſe, wenn gleich noch ſo unbedeutende Produktion, in pralende Schwatzhaftigkeit, und unvermoͤgende Plan- macherey, ſein Boden ſchien der Schmutz jeder Art, den Voruͤberziehen- den muſte es ſeine Fruͤchte auf den Kopf fallen laſſen, in allem Sturm ſeine Blaͤtter ſchlaff und jaͤmmerlich ſenken, in der Ruhe immer rau- ſchen, als wenn ein Sturm ginge. Die Voͤgel die zutraulich darauf niſteten tuͤckiſch hinunter werfen, ſchnell empor in falſches unbrauchbares Holz muſte es ſchießen, um ſchnell zu fallen. Wer verwundert ſich nach ſolchen Antichriſten Talent verhaßt, Nichtigkeit geehrt zu finden. Die Wortſpielerey unſrer Zeit hat Kunſt und Genie einander entgegen- geſezt; viel Kunſt und wenig Genie, wird von den elendeſten Nach- ahmereyen geſagt. Keiner iſt ohne Genie, wenn gleich manche Werke der ohne ſind, der eine kann die Tropfen zaͤhlen, dem andern iſts ein Platz-

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 436[446]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/455>, abgerufen am 24.11.2024.