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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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heit (wie die Petersburger Mägde um Schminke betteln sollen)!
So wurde auf einmal die ganze Welt arm, schlechte Zeit,
schlechte Sitten und Weltuntergang, verkündet in allem Frieden,
in allem Ueberfluß, in allem Frühling. Weil keiner dem Dran-
ge seiner Natur, sondern ihrem Zwange nachleben wollte und
konnte: so wurde schlecht Geld und kurze Ehle in Gedanken, wie
auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die Früchte
der Erde durch sein nothwendiges Entstehen trefflich gut sey,
sondern durch einige Taufformeln vom Zwecke ihres Geschäfts
So wollte der Adel das Blut verbessern, die Kaufleute bildeten
sich ein, eigentlich nur zur sittlichen Kultur der Welt zu gehö-
ren, die Grübelnden, in ihren Worten sey Seligkeit, die aber
alles verachteten, meinten es besonders getroffen zu haben. Es
ließe sich viel sagen über die allgemeinen Aspekten dieser Phäno-
mens, gehen wir nur in die nächste Gemähldesammlung eines
alten Hauses, wie auf einmal wahre Häßlichkeit, und mahleri-
sche Falschheit in die Welt gekommen. Wichtiger ist es, die
Wirkungen dieser allgemeinen Erscheinung im Volksliede zu be-
obachten, sein gänzliches Erlöschen in vielen Gegenden, sein
Herabsinken in andern zum Schmutz und zur Leerheit der be-
fahrnen Straße *).

Da alles, wie wir sahen, klagend und gebrechlich erschien,

regen, der eine steht im Nordlichte, der andre siehts in der Ferne.
Wenn Genie das Schaffende genannt werden kann, so ist Kunst die
Art der Erscheinung dieses Geschaffenen. Genie ohne Kunst, wäre
Lust ohne Beschränkung, Kunst ohne Genie wäre ein Punkt ohne alle
Dimension.
*) Die verkehrten Versuche einiger Gutgesinnten zur Herstellung und Er-
munterung des Volksliedes durch Sammlungen, die weder den niedern
Ständen gefielen, noch die höheren befriedigte, übergehe ich, meine
Achtung in gleichem Sinne ihrem Sinne zu bezeugen.

heit (wie die Petersburger Maͤgde um Schminke betteln ſollen)!
So wurde auf einmal die ganze Welt arm, ſchlechte Zeit,
ſchlechte Sitten und Weltuntergang, verkuͤndet in allem Frieden,
in allem Ueberfluß, in allem Fruͤhling. Weil keiner dem Dran-
ge ſeiner Natur, ſondern ihrem Zwange nachleben wollte und
konnte: ſo wurde ſchlecht Geld und kurze Ehle in Gedanken, wie
auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die Fruͤchte
der Erde durch ſein nothwendiges Entſtehen trefflich gut ſey,
ſondern durch einige Taufformeln vom Zwecke ihres Geſchaͤfts
So wollte der Adel das Blut verbeſſern, die Kaufleute bildeten
ſich ein, eigentlich nur zur ſittlichen Kultur der Welt zu gehoͤ-
ren, die Gruͤbelnden, in ihren Worten ſey Seligkeit, die aber
alles verachteten, meinten es beſonders getroffen zu haben. Es
ließe ſich viel ſagen uͤber die allgemeinen Aſpekten dieſer Phaͤno-
mens, gehen wir nur in die naͤchſte Gemaͤhldeſammlung eines
alten Hauſes, wie auf einmal wahre Haͤßlichkeit, und mahleri-
ſche Falſchheit in die Welt gekommen. Wichtiger iſt es, die
Wirkungen dieſer allgemeinen Erſcheinung im Volksliede zu be-
obachten, ſein gaͤnzliches Erloͤſchen in vielen Gegenden, ſein
Herabſinken in andern zum Schmutz und zur Leerheit der be-
fahrnen Straße *).

Da alles, wie wir ſahen, klagend und gebrechlich erſchien,

regen, der eine ſteht im Nordlichte, der andre ſiehts in der Ferne.
Wenn Genie das Schaffende genannt werden kann, ſo iſt Kunſt die
Art der Erſcheinung dieſes Geſchaffenen. Genie ohne Kunſt, waͤre
Luſt ohne Beſchraͤnkung, Kunſt ohne Genie waͤre ein Punkt ohne alle
Dimenſion.
*) Die verkehrten Verſuche einiger Gutgeſinnten zur Herſtellung und Er-
munterung des Volksliedes durch Sammlungen, die weder den niedern
Staͤnden gefielen, noch die hoͤheren befriedigte, uͤbergehe ich, meine
Achtung in gleichem Sinne ihrem Sinne zu bezeugen.
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[437[447]/0456] heit (wie die Petersburger Maͤgde um Schminke betteln ſollen)! So wurde auf einmal die ganze Welt arm, ſchlechte Zeit, ſchlechte Sitten und Weltuntergang, verkuͤndet in allem Frieden, in allem Ueberfluß, in allem Fruͤhling. Weil keiner dem Dran- ge ſeiner Natur, ſondern ihrem Zwange nachleben wollte und konnte: ſo wurde ſchlecht Geld und kurze Ehle in Gedanken, wie auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die Fruͤchte der Erde durch ſein nothwendiges Entſtehen trefflich gut ſey, ſondern durch einige Taufformeln vom Zwecke ihres Geſchaͤfts So wollte der Adel das Blut verbeſſern, die Kaufleute bildeten ſich ein, eigentlich nur zur ſittlichen Kultur der Welt zu gehoͤ- ren, die Gruͤbelnden, in ihren Worten ſey Seligkeit, die aber alles verachteten, meinten es beſonders getroffen zu haben. Es ließe ſich viel ſagen uͤber die allgemeinen Aſpekten dieſer Phaͤno- mens, gehen wir nur in die naͤchſte Gemaͤhldeſammlung eines alten Hauſes, wie auf einmal wahre Haͤßlichkeit, und mahleri- ſche Falſchheit in die Welt gekommen. Wichtiger iſt es, die Wirkungen dieſer allgemeinen Erſcheinung im Volksliede zu be- obachten, ſein gaͤnzliches Erloͤſchen in vielen Gegenden, ſein Herabſinken in andern zum Schmutz und zur Leerheit der be- fahrnen Straße *). Da alles, wie wir ſahen, klagend und gebrechlich erſchien, *) *) Die verkehrten Verſuche einiger Gutgeſinnten zur Herſtellung und Er- munterung des Volksliedes durch Sammlungen, die weder den niedern Staͤnden gefielen, noch die hoͤheren befriedigte, uͤbergehe ich, meine Achtung in gleichem Sinne ihrem Sinne zu bezeugen. *) regen, der eine ſteht im Nordlichte, der andre ſiehts in der Ferne. Wenn Genie das Schaffende genannt werden kann, ſo iſt Kunſt die Art der Erſcheinung dieſes Geſchaffenen. Genie ohne Kunſt, waͤre Luſt ohne Beſchraͤnkung, Kunſt ohne Genie waͤre ein Punkt ohne alle Dimenſion.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 437[447]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/456>, abgerufen am 21.11.2024.