mit Lust wieder heraufkömmst und von Deiner tieferen Welt sprichst, dann wird Dich's trösten, denn die Welt wird nie mit Dir zusammenhängen, Du wirst keinen andern Ausweg haben als zurück durch diesen Brun- nen in den Zaubergarten Deiner Phantasie; es ist aber keine Phantasie, es ist eine Wahrheit, die sich nur in ihr spiegelt. Der Genius benützt die Phantasie, um unter ihren Formen das göttliche, was der Men- schengeist in seiner idealen Erscheinung nicht fassen könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirst kei- nen andern Weg des Genusses in Deinem Leben ha- ben, als den sich die Kinder versprechen von Zauber- höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch sie gekommen so findet man blühende Gärten, Wunder- früchte, krystallne Paläste, wo eine noch unbegriffne Musik erschallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man festen Fußes in ihr Cen- trum spazieren kann; -- das alles wird sich Dir in die- sen Blättern zu einem Schlüssel bilden, mit dem Du vielleicht tief versunkene Reiche wieder aufschließen kannst, drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht solchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, sondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geist geboren wird; -- wenn er erst in Dich eingefleischt
mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun- nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie, um unter ihren Formen das göttliche, was der Men- ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei- nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha- ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber- höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder- früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen- trum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in die- ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt, drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geiſt geboren wird; — wenn er erſt in Dich eingefleiſcht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0112"n="80"/>
mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen<lb/>
Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt<lb/>
wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen<lb/>
andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun-<lb/>
nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber<lb/>
keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur<lb/>
in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie,<lb/>
um unter ihren Formen das göttliche, was der Men-<lb/>ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen<lb/>
könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei-<lb/>
nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha-<lb/>
ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber-<lb/>
höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie<lb/>
gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder-<lb/>
früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne<lb/>
Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen<lb/>
Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen-<lb/>
trum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in die-<lb/>ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du<lb/>
vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt,<lb/>
drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen<lb/>
Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit<lb/>
Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den<lb/>
Geiſt geboren wird; — wenn er erſt in Dich eingefleiſcht<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[80/0112]
mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen
Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt
wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen
andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun-
nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber
keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur
in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie,
um unter ihren Formen das göttliche, was der Men-
ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen
könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei-
nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha-
ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber-
höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie
gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder-
früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne
Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen
Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen-
trum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in die-
ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du
vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt,
drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen
Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit
Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den
Geiſt geboren wird; — wenn er erſt in Dich eingefleiſcht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/112>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.