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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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hältnissen nach, das machte im gewöhnlichen Leben kei-
nen Unterschied; in dies paßte ich ohne Anstoß, weil ich
mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu sag' ich es
meinem Herrn, der den Seegen hier über sein Kind spre-
chen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fä-
higkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge
sah deutlich große Erscheinungen, so wie ich es zu machte;
-- ich sah die Himmelskugel, sie drehte sich vor mir
in unermeßlicher Größe um, so daß ich ihre Grenze nicht
sah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung
hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir
vorüber, die Sterne tanzten in reinen geistigen Figuren,
die ich als Geist begriff; es stellten sich Monumente auf
von Säulen und Gestalten, hinter denen die Sterne
wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer
von Farben; es blühten Blumen auf, sie wuchsen em-
por bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten sie
vor einem höheren weißen Licht, und so zog in dieser
Innenwelt eine Erscheinung nach der anderen herauf;
dabei fühlten meine Ohren ein feines silbernes Klingen,
allmählig wurde es ein Schall, der größer war und ge-
waltiger, je länger ich ihm lauschte, ich freute mich,
denn es stärkte mich, es stärkte meinen Geist, diesen gro-
ßen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die

hältniſſen nach, das machte im gewöhnlichen Leben kei-
nen Unterſchied; in dies paßte ich ohne Anſtoß, weil ich
mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu ſag' ich es
meinem Herrn, der den Seegen hier über ſein Kind ſpre-
chen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fä-
higkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge
ſah deutlich große Erſcheinungen, ſo wie ich es zu machte;
— ich ſah die Himmelskugel, ſie drehte ſich vor mir
in unermeßlicher Größe um, ſo daß ich ihre Grenze nicht
ſah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung
hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir
vorüber, die Sterne tanzten in reinen geiſtigen Figuren,
die ich als Geiſt begriff; es ſtellten ſich Monumente auf
von Säulen und Geſtalten, hinter denen die Sterne
wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer
von Farben; es blühten Blumen auf, ſie wuchſen em-
por bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten ſie
vor einem höheren weißen Licht, und ſo zog in dieſer
Innenwelt eine Erſcheinung nach der anderen herauf;
dabei fühlten meine Ohren ein feines ſilbernes Klingen,
allmählig wurde es ein Schall, der größer war und ge-
waltiger, je länger ich ihm lauſchte, ich freute mich,
denn es ſtärkte mich, es ſtärkte meinen Geiſt, dieſen gro-
ßen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die

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[84/0116] hältniſſen nach, das machte im gewöhnlichen Leben kei- nen Unterſchied; in dies paßte ich ohne Anſtoß, weil ich mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu ſag' ich es meinem Herrn, der den Seegen hier über ſein Kind ſpre- chen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fä- higkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge ſah deutlich große Erſcheinungen, ſo wie ich es zu machte; — ich ſah die Himmelskugel, ſie drehte ſich vor mir in unermeßlicher Größe um, ſo daß ich ihre Grenze nicht ſah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir vorüber, die Sterne tanzten in reinen geiſtigen Figuren, die ich als Geiſt begriff; es ſtellten ſich Monumente auf von Säulen und Geſtalten, hinter denen die Sterne wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer von Farben; es blühten Blumen auf, ſie wuchſen em- por bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten ſie vor einem höheren weißen Licht, und ſo zog in dieſer Innenwelt eine Erſcheinung nach der anderen herauf; dabei fühlten meine Ohren ein feines ſilbernes Klingen, allmählig wurde es ein Schall, der größer war und ge- waltiger, je länger ich ihm lauſchte, ich freute mich, denn es ſtärkte mich, es ſtärkte meinen Geiſt, dieſen gro- ßen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/116>, abgerufen am 21.11.2024.