wundet, grad' an der Stelle, wo sie's gelernt hatte, daß man da das Herz am sichersten trifft; O Jesus Ma- ria! --
Du! mein Herr! -- Du! -- flammender Genius über mir! ich hab' geweint; nicht über sie, die ich ver- loren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte mich umgab; die mich schützte, die mich begeisterte, die mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute; ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich wer- den wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich muß streng sein gegen dies leidenschaftliche Herz; es hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; -- Du bist mild, und lächelst mir, und deine kühle Hand mildert die Gluth meiner Wangen, das soll mir genügen.
Gestern waren wir in Laubbekränzten Nachen den Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des Weinfestes an beiden Bergufern mit anzusehen; auf unserem Schiff waren lustige Leute, sie schrieben Weinbegeisterte Lieder und Sprüche, steckten sie in die geleerten Flaschen, und ließen diese unter wäh- rendem Schießen den Rhein hinabsch[w]immen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei ein- brechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem
wundet, grad' an der Stelle, wo ſie's gelernt hatte, daß man da das Herz am ſicherſten trifft; O Jeſus Ma- ria! —
Du! mein Herr! — Du! — flammender Genius über mir! ich hab' geweint; nicht über ſie, die ich ver- loren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte mich umgab; die mich ſchützte, die mich begeiſterte, die mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute; ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich wer- den wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich muß ſtreng ſein gegen dies leidenſchaftliche Herz; es hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; — Du biſt mild, und lächelſt mir, und deine kühle Hand mildert die Gluth meiner Wangen, das ſoll mir genügen.
Geſtern waren wir in Laubbekränzten Nachen den Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des Weinfeſtes an beiden Bergufern mit anzuſehen; auf unſerem Schiff waren luſtige Leute, ſie ſchrieben Weinbegeiſterte Lieder und Sprüche, ſteckten ſie in die geleerten Flaſchen, und ließen dieſe unter wäh- rendem Schießen den Rhein hinabſch[w]immen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei ein- brechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0120"n="88"/>
wundet, grad' an der Stelle, wo ſie's gelernt hatte, daß<lb/>
man da das Herz am ſicherſten trifft; O Jeſus Ma-<lb/>
ria! —</p><lb/><p>Du! mein Herr! — Du! — flammender Genius<lb/>
über mir! ich hab' geweint; nicht über ſie, die ich ver-<lb/>
loren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte<lb/>
mich umgab; die mich ſchützte, die mich begeiſterte, die<lb/>
mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute;<lb/>
ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich wer-<lb/>
den wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich<lb/>
darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich<lb/>
muß ſtreng ſein gegen dies leidenſchaftliche Herz; es<lb/>
hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; —<lb/>
Du biſt mild, und lächelſt mir, und deine kühle Hand<lb/>
mildert die Gluth meiner Wangen, das ſoll mir genügen.</p><lb/><p>Geſtern waren wir in Laubbekränzten Nachen den<lb/>
Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des<lb/>
Weinfeſtes an beiden Bergufern mit anzuſehen; auf<lb/>
unſerem Schiff waren luſtige Leute, ſie ſchrieben<lb/>
Weinbegeiſterte Lieder und Sprüche, ſteckten ſie in<lb/>
die geleerten Flaſchen, und ließen dieſe unter wäh-<lb/>
rendem Schießen den Rhein hinabſch<supplied>w</supplied>immen; auf allen<lb/>
Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei ein-<lb/>
brechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[88/0120]
wundet, grad' an der Stelle, wo ſie's gelernt hatte, daß
man da das Herz am ſicherſten trifft; O Jeſus Ma-
ria! —
Du! mein Herr! — Du! — flammender Genius
über mir! ich hab' geweint; nicht über ſie, die ich ver-
loren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte
mich umgab; die mich ſchützte, die mich begeiſterte, die
mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute;
ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich wer-
den wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich
darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich
muß ſtreng ſein gegen dies leidenſchaftliche Herz; es
hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; —
Du biſt mild, und lächelſt mir, und deine kühle Hand
mildert die Gluth meiner Wangen, das ſoll mir genügen.
Geſtern waren wir in Laubbekränzten Nachen den
Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des
Weinfeſtes an beiden Bergufern mit anzuſehen; auf
unſerem Schiff waren luſtige Leute, ſie ſchrieben
Weinbegeiſterte Lieder und Sprüche, ſteckten ſie in
die geleerten Flaſchen, und ließen dieſe unter wäh-
rendem Schießen den Rhein hinabſchwimmen; auf allen
Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei ein-
brechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/120>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.