ten, und die anderen Gesichtstheile verhielten sich gei- stig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin schon die ersten Spuren einer Verklärung sich zeigten.
Hier hab' ich abgebrochen, und hab' viele Tage nicht geschrieben; es stieg so ernst und schwer herauf, der Schmerz ließ sich nicht vom Denken bemeistern; ich bin noch jung, ich kann's nicht durchsetzen, das unge- heure. Unterdessen hat man den Herbst eingethan, der Most wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Ju- belgesang die Berge herabgefahren und getragen, und sie gingen mit der Schalmei voran und tanzten. O Du! -- der Du dieses liest, Du hast keinen Mantel so weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was bist Du mir schuldig? -- Dem ich Opfer bringe wie dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen lasse. -- Wie kannst Du mir vergelten? -- Du wirst mir nimmer vergelten; Du wirst mich nicht locken und an Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirst Du mich nicht herbergen, und der Sehnsucht wirst Du keine Linderung gewähren; ich weiß es schon im Voraus, ich werd' allein sein mit mir selber, wie ich heut' allein stand am Ufer bei den düstern Weiden, wo die Todesschauer noch wehen über dem Platz, da kein Gras mehr wächst; dort hat sie den schönen Leib ver-
ten, und die anderen Geſichtstheile verhielten ſich gei- ſtig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin ſchon die erſten Spuren einer Verklärung ſich zeigten.
Hier hab' ich abgebrochen, und hab' viele Tage nicht geſchrieben; es ſtieg ſo ernſt und ſchwer herauf, der Schmerz ließ ſich nicht vom Denken bemeiſtern; ich bin noch jung, ich kann's nicht durchſetzen, das unge- heure. Unterdeſſen hat man den Herbſt eingethan, der Moſt wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Ju- belgeſang die Berge herabgefahren und getragen, und ſie gingen mit der Schalmei voran und tanzten. O Du! — der Du dieſes lieſt, Du haſt keinen Mantel ſo weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was biſt Du mir ſchuldig? — Dem ich Opfer bringe wie dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen laſſe. — Wie kannſt Du mir vergelten? — Du wirſt mir nimmer vergelten; Du wirſt mich nicht locken und an Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirſt Du mich nicht herbergen, und der Sehnſucht wirſt Du keine Linderung gewähren; ich weiß es ſchon im Voraus, ich werd' allein ſein mit mir ſelber, wie ich heut' allein ſtand am Ufer bei den düſtern Weiden, wo die Todesſchauer noch wehen über dem Platz, da kein Gras mehr wächſt; dort hat ſie den ſchönen Leib ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0119"n="87"/>
ten, und die anderen Geſichtstheile verhielten ſich gei-<lb/>ſtig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin<lb/>ſchon die erſten Spuren einer Verklärung ſich zeigten.</p><lb/><p>Hier hab' ich abgebrochen, und hab' viele Tage<lb/>
nicht geſchrieben; es ſtieg ſo ernſt und ſchwer herauf,<lb/>
der Schmerz ließ ſich nicht vom Denken bemeiſtern; ich<lb/>
bin noch jung, ich kann's nicht durchſetzen, das unge-<lb/>
heure. Unterdeſſen hat man den Herbſt eingethan, der<lb/>
Moſt wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Ju-<lb/>
belgeſang die Berge herabgefahren und getragen, und<lb/>ſie gingen mit der Schalmei <choice><sic>voron</sic><corr>voran</corr></choice> und tanzten. O<lb/>
Du! — der Du dieſes lieſt, Du haſt keinen Mantel ſo<lb/>
weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was<lb/>
biſt Du mir ſchuldig? — Dem ich Opfer bringe wie<lb/>
dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen laſſe.<lb/>— Wie kannſt Du mir vergelten? — Du wirſt mir<lb/>
nimmer vergelten; Du wirſt mich nicht locken und an<lb/>
Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe<lb/>
habe, wirſt Du mich nicht herbergen, und der Sehnſucht<lb/>
wirſt Du keine Linderung gewähren; ich weiß es ſchon<lb/>
im Voraus, ich werd' allein ſein mit mir ſelber, wie ich<lb/>
heut' allein ſtand am Ufer bei den düſtern Weiden, wo<lb/>
die Todesſchauer noch wehen über dem Platz, da kein<lb/>
Gras mehr wächſt; dort hat ſie den ſchönen Leib ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[87/0119]
ten, und die anderen Geſichtstheile verhielten ſich gei-
ſtig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin
ſchon die erſten Spuren einer Verklärung ſich zeigten.
Hier hab' ich abgebrochen, und hab' viele Tage
nicht geſchrieben; es ſtieg ſo ernſt und ſchwer herauf,
der Schmerz ließ ſich nicht vom Denken bemeiſtern; ich
bin noch jung, ich kann's nicht durchſetzen, das unge-
heure. Unterdeſſen hat man den Herbſt eingethan, der
Moſt wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Ju-
belgeſang die Berge herabgefahren und getragen, und
ſie gingen mit der Schalmei voran und tanzten. O
Du! — der Du dieſes lieſt, Du haſt keinen Mantel ſo
weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was
biſt Du mir ſchuldig? — Dem ich Opfer bringe wie
dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen laſſe.
— Wie kannſt Du mir vergelten? — Du wirſt mir
nimmer vergelten; Du wirſt mich nicht locken und an
Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe
habe, wirſt Du mich nicht herbergen, und der Sehnſucht
wirſt Du keine Linderung gewähren; ich weiß es ſchon
im Voraus, ich werd' allein ſein mit mir ſelber, wie ich
heut' allein ſtand am Ufer bei den düſtern Weiden, wo
die Todesſchauer noch wehen über dem Platz, da kein
Gras mehr wächſt; dort hat ſie den ſchönen Leib ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/119>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.