Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

bringen, sie öffnete hastig ihr Kleid, und zeigte mir un-
ter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten
freudig; ich starrte sie an, es ward mir zum erstenmal
unheimlich, ich fragte: nun! -- und was soll ich denn
thun, wenn Du todt bist? -- O, sagte sie, dann ist Dir
nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht
mehr so eng verbunden, ich werd' mich erst mit Dir ent-
zweien; -- ich wendete mich nach dem Fenster, um
meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver-
bergen, sie hatte sich nach dem andern Fenster gewen-
det und schwieg; -- ich sah sie von der Seite an, ihr
Aug' war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war
gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen ge-
wendet habe; -- nachdem ich sie eine Weile beobach-
tet hatte, konnt' ich mich nicht mehr fassen, -- ich brach
in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und
riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre
Knie, und weinte viel Thränen und küßte sie zum er-
stenmal
an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf
und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das
Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Thränen,
daß sie sich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den
Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zit-
terten, und ihre Lippen zuckten, und sie war ganz kalt

bringen, ſie öffnete haſtig ihr Kleid, und zeigte mir un-
ter der ſchönen Bruſt den Fleck; ihre Augen funkelten
freudig; ich ſtarrte ſie an, es ward mir zum erſtenmal
unheimlich, ich fragte: nun! — und was ſoll ich denn
thun, wenn Du todt biſt? — O, ſagte ſie, dann iſt Dir
nichts mehr an mir gelegen, bis dahin ſind wir nicht
mehr ſo eng verbunden, ich werd' mich erſt mit Dir ent-
zweien; — ich wendete mich nach dem Fenſter, um
meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver-
bergen, ſie hatte ſich nach dem andern Fenſter gewen-
det und ſchwieg; — ich ſah ſie von der Seite an, ihr
Aug' war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war
gebrochen, als ob ſich ſein ganzes Feuer nach innen ge-
wendet habe; — nachdem ich ſie eine Weile beobach-
tet hatte, konnt' ich mich nicht mehr faſſen, — ich brach
in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und
riß ſie nieder auf den Sitz und ſetzte mich auf ihre
Knie, und weinte viel Thränen und küßte ſie zum er-
ſtenmal
an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf
und küßte ſie an die Stelle, wo ſie gelernt hatte das
Herz treffen; und ich bat mit ſchmerzlichen Thränen,
daß ſie ſich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den
Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zit-
terten, und ihre Lippen zuckten, und ſie war ganz kalt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="91"/>
bringen, &#x017F;ie öffnete ha&#x017F;tig ihr Kleid, und zeigte mir un-<lb/>
ter der &#x017F;chönen Bru&#x017F;t den Fleck; ihre Augen funkelten<lb/>
freudig; ich &#x017F;tarrte &#x017F;ie an, es ward mir zum er&#x017F;tenmal<lb/>
unheimlich, ich fragte: nun! &#x2014; und was &#x017F;oll ich denn<lb/>
thun, wenn Du todt bi&#x017F;t? &#x2014; O, &#x017F;agte &#x017F;ie, dann i&#x017F;t Dir<lb/>
nichts mehr an mir gelegen, bis dahin &#x017F;ind wir nicht<lb/>
mehr &#x017F;o eng verbunden, ich werd' mich er&#x017F;t mit Dir ent-<lb/>
zweien; &#x2014; ich wendete mich nach dem Fen&#x017F;ter, um<lb/>
meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver-<lb/>
bergen, &#x017F;ie hatte &#x017F;ich nach dem andern Fen&#x017F;ter gewen-<lb/>
det und &#x017F;chwieg; &#x2014; ich &#x017F;ah &#x017F;ie von der Seite an, ihr<lb/>
Aug' war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war<lb/>
gebrochen, als ob &#x017F;ich &#x017F;ein ganzes Feuer nach innen ge-<lb/>
wendet habe; &#x2014; nachdem ich &#x017F;ie eine Weile beobach-<lb/>
tet hatte, konnt' ich mich nicht mehr fa&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; ich brach<lb/>
in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und<lb/>
riß &#x017F;ie nieder auf den Sitz und &#x017F;etzte mich auf ihre<lb/>
Knie, und weinte viel Thränen und küßte &#x017F;ie zum <hi rendition="#g">er-<lb/>
&#x017F;tenmal</hi> an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf<lb/>
und küßte &#x017F;ie an die Stelle, wo &#x017F;ie gelernt hatte das<lb/>
Herz treffen; und ich bat mit &#x017F;chmerzlichen Thränen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den<lb/>
Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zit-<lb/>
terten, und ihre Lippen zuckten, und &#x017F;ie war ganz kalt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0123] bringen, ſie öffnete haſtig ihr Kleid, und zeigte mir un- ter der ſchönen Bruſt den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich ſtarrte ſie an, es ward mir zum erſtenmal unheimlich, ich fragte: nun! — und was ſoll ich denn thun, wenn Du todt biſt? — O, ſagte ſie, dann iſt Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin ſind wir nicht mehr ſo eng verbunden, ich werd' mich erſt mit Dir ent- zweien; — ich wendete mich nach dem Fenſter, um meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver- bergen, ſie hatte ſich nach dem andern Fenſter gewen- det und ſchwieg; — ich ſah ſie von der Seite an, ihr Aug' war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob ſich ſein ganzes Feuer nach innen ge- wendet habe; — nachdem ich ſie eine Weile beobach- tet hatte, konnt' ich mich nicht mehr faſſen, — ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und riß ſie nieder auf den Sitz und ſetzte mich auf ihre Knie, und weinte viel Thränen und küßte ſie zum er- ſtenmal an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte ſie an die Stelle, wo ſie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit ſchmerzlichen Thränen, daß ſie ſich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zit- terten, und ihre Lippen zuckten, und ſie war ganz kalt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/123
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/123>, abgerufen am 24.11.2024.