cholie; wir scherzten und machten Verse, und da der schöne Wilhelm die schönsten gemacht zu haben behaup- tete, so wollte die Günderode, ich solle ihm den Lorbeer- kranz schenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geschmä- lert wissen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes lassen; so hab' ich denn nur die eine Hälfte. Ein- mal kam ich zu ihr, da zeigte sie mir einen Dolch, mit silbernem Griff; den sie auf der Messe gekauft hatte, sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, sie erschrack, ich sagte: O Günderode, Du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen, und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Muth voraussetzt, ich hab' doch noch das Bewußtsein, daß ich eher vermögend wär', etwas zu wagen, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf Dich eindringe -- siehst Du wie Du Dich fürchtest? -- sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wie- der in mir, unter der Decke des glühendsten Muthwills; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riß ihn mit vielen
cholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behaup- tete, ſo wollte die Günderode, ich ſolle ihm den Lorbeer- kranz ſchenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geſchmä- lert wiſſen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes laſſen; ſo hab' ich denn nur die eine Hälfte. Ein- mal kam ich zu ihr, da zeigte ſie mir einen Dolch, mit ſilbernem Griff; den ſie auf der Meſſe gekauft hatte, ſie freute ſich über den ſchönen Stahl und über ſeine Schärfe; ich nahm das Meſſer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, ſie erſchrack, ich ſagte: O Günderode, Du biſt ſo zaghaft und kannſt kein Blut ſehen, und geheſt immer mit einer Idee um, die den höchſten Muth vorausſetzt, ich hab' doch noch das Bewußtſein, daß ich eher vermögend wär', etwas zu wagen, obſchon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Meſſer auf Dich eindringe — ſiehſt Du wie Du Dich fürchteſt? — ſie zog ſich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich wie- der in mir, unter der Decke des glühendſten Muthwills; ich ging immer ernſtlicher auf ſie ein, ſie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Seſſel, um ſich zu ſichern; ich ſtach in den Seſſel, ich riß ihn mit vielen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0125"n="93"/>
cholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der<lb/>ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behaup-<lb/>
tete, ſo wollte die Günderode, ich ſolle ihm den Lorbeer-<lb/>
kranz ſchenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geſchmä-<lb/>
lert wiſſen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des<lb/>
Kranzes laſſen; ſo hab' ich denn nur die eine Hälfte. Ein-<lb/>
mal kam ich zu ihr, da zeigte ſie mir einen Dolch, mit<lb/>ſilbernem Griff; den ſie auf der Meſſe gekauft hatte,<lb/>ſie freute ſich über den ſchönen Stahl und über ſeine<lb/>
Schärfe; ich nahm das Meſſer in die Hand und probte<lb/>
es am Finger, da floß gleich Blut, ſie erſchrack, ich<lb/>ſagte: O Günderode, Du biſt ſo zaghaft und kannſt<lb/>
kein Blut ſehen, und geheſt immer mit einer Idee um,<lb/>
die den höchſten Muth vorausſetzt, ich hab' doch noch<lb/>
das Bewußtſein, daß ich eher vermögend wär', etwas<lb/>
zu wagen, obſchon ich mich nie umbringen würde; aber<lb/>
mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu<lb/>
hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Meſſer auf<lb/>
Dich eindringe —ſiehſt Du wie Du Dich fürchteſt? —ſie<lb/>
zog ſich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich wie-<lb/>
der in mir, unter der Decke des glühendſten Muthwills;<lb/>
ich ging immer ernſtlicher auf ſie ein, ſie lief in ihr<lb/>
Schlafzimmer hinter einen ledernen Seſſel, um ſich zu<lb/>ſichern; ich ſtach in den Seſſel, ich riß ihn mit vielen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[93/0125]
cholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der
ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behaup-
tete, ſo wollte die Günderode, ich ſolle ihm den Lorbeer-
kranz ſchenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geſchmä-
lert wiſſen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des
Kranzes laſſen; ſo hab' ich denn nur die eine Hälfte. Ein-
mal kam ich zu ihr, da zeigte ſie mir einen Dolch, mit
ſilbernem Griff; den ſie auf der Meſſe gekauft hatte,
ſie freute ſich über den ſchönen Stahl und über ſeine
Schärfe; ich nahm das Meſſer in die Hand und probte
es am Finger, da floß gleich Blut, ſie erſchrack, ich
ſagte: O Günderode, Du biſt ſo zaghaft und kannſt
kein Blut ſehen, und geheſt immer mit einer Idee um,
die den höchſten Muth vorausſetzt, ich hab' doch noch
das Bewußtſein, daß ich eher vermögend wär', etwas
zu wagen, obſchon ich mich nie umbringen würde; aber
mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu
hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Meſſer auf
Dich eindringe — ſiehſt Du wie Du Dich fürchteſt? — ſie
zog ſich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich wie-
der in mir, unter der Decke des glühendſten Muthwills;
ich ging immer ernſtlicher auf ſie ein, ſie lief in ihr
Schlafzimmer hinter einen ledernen Seſſel, um ſich zu
ſichern; ich ſtach in den Seſſel, ich riß ihn mit vielen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/125>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.