große Heer der Sterne über mir! -- so ist es nach dem Tod', die freiheitstrebende Seele, der der Leib am angst- vollsten lastet, im Augenblick da sie ihn abwerfen will; sie siegt endlich, und ist der Angst erledigt; -- da hatte ich blos das Gefühl allein zu sein, da war kein Gegen- stand, der mir näher war als meine Einsamkeit, und alles mußte vor dieser Beseligung zusammensinken; -- ich schrieb der Günderode, daß wieder einmal mein ganzes Glück von der Laune dieser Grille abhänge; ich schrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte mache und denke, ich setzte mich auf die Brustmauer und hing die Beine hinab. -- Sie wollte immer mehr von diesen Thurmbegeistrungen, sie sagte: es ist mein Labsal, Du sprichst wie ein auferstandner Prophet! -- wie ich ihr aber schrieb, daß ich auf der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und lustig nach den Sternen sähe, und daß mir zwar am Anfang geschwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz keck und wie am Boden mich da oben befinde, -- da schrieb sie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böser oder guter Dämonen bist; -- falle nicht, schrieb sie mir wieder, obschon es mir wohlthätig war, Deine Stimme von oben herab über den Tod zu vernehmen, so fürchte
große Heer der Sterne über mir! — ſo iſt es nach dem Tod', die freiheitſtrebende Seele, der der Leib am angſt- vollſten laſtet, im Augenblick da ſie ihn abwerfen will; ſie ſiegt endlich, und iſt der Angſt erledigt; — da hatte ich blos das Gefühl allein zu ſein, da war kein Gegen- ſtand, der mir näher war als meine Einſamkeit, und alles mußte vor dieſer Beſeligung zuſammenſinken; — ich ſchrieb der Günderode, daß wieder einmal mein ganzes Glück von der Laune dieſer Grille abhänge; ich ſchrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte mache und denke, ich ſetzte mich auf die Bruſtmauer und hing die Beine hinab. — Sie wollte immer mehr von dieſen Thurmbegeiſtrungen, ſie ſagte: es iſt mein Labſal, Du ſprichſt wie ein auferſtandner Prophet! — wie ich ihr aber ſchrieb, daß ich auf der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und luſtig nach den Sternen ſähe, und daß mir zwar am Anfang geſchwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz keck und wie am Boden mich da oben befinde, — da ſchrieb ſie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böſer oder guter Dämonen biſt; — falle nicht, ſchrieb ſie mir wieder, obſchon es mir wohlthätig war, Deine Stimme von oben herab über den Tod zu vernehmen, ſo fürchte
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große Heer der Sterne über mir! — ſo iſt es nach dem
Tod', die freiheitſtrebende Seele, der der Leib am angſt-
vollſten laſtet, im Augenblick da ſie ihn abwerfen will;
ſie ſiegt endlich, und iſt der Angſt erledigt; — da hatte
ich blos das Gefühl allein zu ſein, da war kein Gegen-
ſtand, der mir näher war als meine Einſamkeit, und
alles mußte vor dieſer Beſeligung zuſammenſinken; —
ich ſchrieb der Günderode, daß wieder einmal mein
ganzes Glück von der Laune dieſer Grille abhänge;
ich ſchrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte
mache und denke, ich ſetzte mich auf die Bruſtmauer
und hing die Beine hinab. — Sie wollte immer mehr
von dieſen Thurmbegeiſtrungen, ſie ſagte: es iſt mein
Labſal, Du ſprichſt wie ein auferſtandner Prophet! —
wie ich ihr aber ſchrieb, daß ich auf der Mauer, die
kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und
luſtig nach den Sternen ſähe, und daß mir zwar
am Anfang geſchwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz
keck und wie am Boden mich da oben befinde, — da
ſchrieb ſie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch
nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böſer
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wieder, obſchon es mir wohlthätig war, Deine Stimme
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/133>, abgerufen am 21.11.2024.
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