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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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den. -- Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat sie mit
zu gehen zur Günderode, zu sehen, was ihr fehle, sie
zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angesicht zu gön-
nen; ich dachte, wenn ich sie nur einmal in's Auge
fassen könne, dann wolle ich sie zwingen; ich lief über
die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich stehen, ich ließ
die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zit-
terte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang,
der mich so oft zu ihr geführt hatte; -- die Meline
kam heraus mit verweinten Augen, sie zog mich schwei-
gend mit sich fort; -- einen Augenblick hatte mich der
Schmerz übermannt, aber gleich stand ich wieder auf
den Füßen; nun dacht' ich, wenn das Schicksal mir
nicht schmeicheln will, so wollen wir Ball mit ihm spie-
len; ich war heiter, ich war lustig, ich war überreizt,
aber Nächten weinte ich im Schlaf. -- Am zweiten Tag
ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da sah
ich die Wohnung von Goethe's Mutter, die ich nicht
näher kannte und nie besucht hatte; ich trat ein. Frau
Rath, sagte ich, ich will Ihre Bekanntschaft machen, mir
ist eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verlo-
ren gegangen und die sollen Sie mir ersetzen; -- wir
wollen's versuchen, sagte sie, und so kam ich alle Tage
und setzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem

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den. — Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat ſie mit
zu gehen zur Günderode, zu ſehen, was ihr fehle, ſie
zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angeſicht zu gön-
nen; ich dachte, wenn ich ſie nur einmal in's Auge
faſſen könne, dann wolle ich ſie zwingen; ich lief über
die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich ſtehen, ich ließ
die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zit-
terte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang,
der mich ſo oft zu ihr geführt hatte; — die Meline
kam heraus mit verweinten Augen, ſie zog mich ſchwei-
gend mit ſich fort; — einen Augenblick hatte mich der
Schmerz übermannt, aber gleich ſtand ich wieder auf
den Füßen; nun dacht' ich, wenn das Schickſal mir
nicht ſchmeicheln will, ſo wollen wir Ball mit ihm ſpie-
len; ich war heiter, ich war luſtig, ich war überreizt,
aber Nächten weinte ich im Schlaf. — Am zweiten Tag
ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da ſah
ich die Wohnung von Goethe's Mutter, die ich nicht
näher kannte und nie beſucht hatte; ich trat ein. Frau
Rath, ſagte ich, ich will Ihre Bekanntſchaft machen, mir
iſt eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verlo-
ren gegangen und die ſollen Sie mir erſetzen; — wir
wollen's verſuchen, ſagte ſie, und ſo kam ich alle Tage
und ſetzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem

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[105/0137] den. — Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat ſie mit zu gehen zur Günderode, zu ſehen, was ihr fehle, ſie zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angeſicht zu gön- nen; ich dachte, wenn ich ſie nur einmal in's Auge faſſen könne, dann wolle ich ſie zwingen; ich lief über die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich ſtehen, ich ließ die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zit- terte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang, der mich ſo oft zu ihr geführt hatte; — die Meline kam heraus mit verweinten Augen, ſie zog mich ſchwei- gend mit ſich fort; — einen Augenblick hatte mich der Schmerz übermannt, aber gleich ſtand ich wieder auf den Füßen; nun dacht' ich, wenn das Schickſal mir nicht ſchmeicheln will, ſo wollen wir Ball mit ihm ſpie- len; ich war heiter, ich war luſtig, ich war überreizt, aber Nächten weinte ich im Schlaf. — Am zweiten Tag ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da ſah ich die Wohnung von Goethe's Mutter, die ich nicht näher kannte und nie beſucht hatte; ich trat ein. Frau Rath, ſagte ich, ich will Ihre Bekanntſchaft machen, mir iſt eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verlo- ren gegangen und die ſollen Sie mir erſetzen; — wir wollen's verſuchen, ſagte ſie, und ſo kam ich alle Tage und ſetzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem 5**

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/137>, abgerufen am 24.11.2024.