vom Primas, so ließ sie ihn ein; sie war schon in der weißen Negligeejacke, aber sie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg sagte ihr, sein Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden Augen gesehen, während der Vorstellung, und er wünsche sie vor seiner Abreise noch zu sprechen, und möchte sie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag essen. Die Mutter war sehr geputzt bei diesem Diner das mit al- lerlei Fürstlichkeiten und sonst merkwürdigen Personen besetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrscheinlich invi- tirt war, denn alle drängten sich an sie heran, um sie zu se- hen und mit ihr zu sprechen. Sie war sehr heiter und bered- sam, und nur von mir suchte sie sich zu entfernen. Sie sagte mir nachher, sie habe Angst gehabt, ich möge sie in Verle- genheit bringen; ich glaube aber, sie hat mir einen Streich gespielt, denn der Primas sagte mir sehr wun- derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm gesagt habe, ich habe einen erhabenen ästhetischen Sinn. Da nahm er einen schönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelson, und sagte: dieser feine Mann mit der Habichtsnase der soll Sie zu Tisch füh- ren, er ist der schönste von der ganzen Gesellschaft, neh- men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verstand aber nichts davon. Bei Tisch wechselte er mein Glas,
vom Primas, ſo ließ ſie ihn ein; ſie war ſchon in der weißen Negligeejacke, aber ſie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg ſagte ihr, ſein Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden Augen geſehen, während der Vorſtellung, und er wünſche ſie vor ſeiner Abreiſe noch zu ſprechen, und möchte ſie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die Mutter war ſehr geputzt bei dieſem Diner das mit al- lerlei Fürſtlichkeiten und ſonſt merkwürdigen Perſonen beſetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrſcheinlich invi- tirt war, denn alle drängten ſich an ſie heran, um ſie zu ſe- hen und mit ihr zu ſprechen. Sie war ſehr heiter und bered- ſam, und nur von mir ſuchte ſie ſich zu entfernen. Sie ſagte mir nachher, ſie habe Angſt gehabt, ich möge ſie in Verle- genheit bringen; ich glaube aber, ſie hat mir einen Streich geſpielt, denn der Primas ſagte mir ſehr wun- derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm geſagt habe, ich habe einen erhabenen äſthetiſchen Sinn. Da nahm er einen ſchönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelſon, und ſagte: dieſer feine Mann mit der Habichtsnaſe der ſoll Sie zu Tiſch füh- ren, er iſt der ſchönſte von der ganzen Geſellſchaft, neh- men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand aber nichts davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas,
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vom Primas, ſo ließ ſie ihn ein; ſie war ſchon in der
weißen Negligeejacke, aber ſie hatte ihren Kopfputz noch
auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg ſagte ihr, ſein
Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden
Augen geſehen, während der Vorſtellung, und er wünſche
ſie vor ſeiner Abreiſe noch zu ſprechen, und möchte ſie
doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die
Mutter war ſehr geputzt bei dieſem Diner das mit al-
lerlei Fürſtlichkeiten und ſonſt merkwürdigen Perſonen
beſetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrſcheinlich invi-
tirt war, denn alle drängten ſich an ſie heran, um ſie zu ſe-
hen und mit ihr zu ſprechen. Sie war ſehr heiter und bered-
ſam, und nur von mir ſuchte ſie ſich zu entfernen. Sie ſagte
mir nachher, ſie habe Angſt gehabt, ich möge ſie in Verle-
genheit bringen; ich glaube aber, ſie hat mir einen
Streich geſpielt, denn der Primas ſagte mir ſehr wun-
derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm
geſagt habe, ich habe einen erhabenen äſthetiſchen Sinn.
Da nahm er einen ſchönen Engländer bei der Hand,
einen Schwager des Lord Nelſon, und ſagte: dieſer feine
Mann mit der Habichtsnaſe der ſoll Sie zu Tiſch füh-
ren, er iſt der ſchönſte von der ganzen Geſellſchaft, neh-
men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand
aber nichts davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas,
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/172>, abgerufen am 21.11.2024.
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