Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaub-
niß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm sonst
nicht schmecken; das ließ ich geschehen, und alle Weine,
die ihm vorgesetzt wurden, die goß er in dies Glas und
trank sie mit begeisterten Blicken aus; es war eine wun-
derliche Tischunterhaltung; bald rückte er seinen Fuß
dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebste
Unterhaltung sei: ich sagte, ich tanze lieber als ich gehe,
und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich mei-
nen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den
ich vorgesteckt hatte, in's Wasserglas gestellt, damit er
nicht sobald welken solle, um ihn nach Tisch wieder vor-
zustecken, er frug: "Will you give me this?" ich nickte
ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er
steckte ihn in Busen und knöpfte die Weste drüber zu,
und seufzte, und da sah er, daß ich roth ward. --
Sein Gesicht übergoß sich mit einem Schmelz von Freund-
lichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzu-
schlagen, als wolle er mich auffordern, seine wohlge-
fällige Bildung zu beachten; sein Fuß suchte wieder
den meinen, und mit leiser Stimme sagte er: bee
good fine girl.
-- Ich konnte ihm nicht unfreundlich
sein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da
zog ich das eine End' meines langen Gürtels um sein

aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaub-
niß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm ſonſt
nicht ſchmecken; das ließ ich geſchehen, und alle Weine,
die ihm vorgeſetzt wurden, die goß er in dies Glas und
trank ſie mit begeiſterten Blicken aus; es war eine wun-
derliche Tiſchunterhaltung; bald rückte er ſeinen Fuß
dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebſte
Unterhaltung ſei: ich ſagte, ich tanze lieber als ich gehe,
und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich mei-
nen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den
ich vorgeſteckt hatte, in's Waſſerglas geſtellt, damit er
nicht ſobald welken ſolle, um ihn nach Tiſch wieder vor-
zuſtecken, er frug: „Will you give me this?“ ich nickte
ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er
ſteckte ihn in Buſen und knöpfte die Weſte drüber zu,
und ſeufzte, und da ſah er, daß ich roth ward. —
Sein Geſicht übergoß ſich mit einem Schmelz von Freund-
lichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzu-
ſchlagen, als wolle er mich auffordern, ſeine wohlge-
fällige Bildung zu beachten; ſein Fuß ſuchte wieder
den meinen, und mit leiſer Stimme ſagte er: bee
good fine girl.
— Ich konnte ihm nicht unfreundlich
ſein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da
zog ich das eine End' meines langen Gürtels um ſein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="141"/>
aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaub-<lb/>
niß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
nicht &#x017F;chmecken; das ließ ich ge&#x017F;chehen, und alle Weine,<lb/>
die ihm vorge&#x017F;etzt wurden, die goß er in dies Glas und<lb/>
trank &#x017F;ie mit begei&#x017F;terten Blicken aus; es war eine wun-<lb/>
derliche Ti&#x017F;chunterhaltung; bald rückte er &#x017F;einen Fuß<lb/>
dicht an den meinigen und fragte mich, was meine lieb&#x017F;te<lb/>
Unterhaltung &#x017F;ei: ich &#x017F;agte, ich tanze lieber als ich gehe,<lb/>
und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich mei-<lb/>
nen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den<lb/>
ich vorge&#x017F;teckt hatte, in's Wa&#x017F;&#x017F;erglas ge&#x017F;tellt, damit er<lb/>
nicht &#x017F;obald welken &#x017F;olle, um ihn nach Ti&#x017F;ch wieder vor-<lb/>
zu&#x017F;tecken, er frug: <hi rendition="#aq">&#x201E;Will you give me this?&#x201C;</hi> ich nickte<lb/>
ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er<lb/>
&#x017F;teckte ihn in Bu&#x017F;en und knöpfte die We&#x017F;te drüber zu,<lb/>
und &#x017F;eufzte, und da &#x017F;ah er, daß ich roth ward. &#x2014;<lb/>
Sein Ge&#x017F;icht übergoß &#x017F;ich mit einem Schmelz von Freund-<lb/>
lichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzu-<lb/>
&#x017F;chlagen, als wolle er mich auffordern, &#x017F;eine wohlge-<lb/>
fällige Bildung zu beachten; &#x017F;ein Fuß &#x017F;uchte wieder<lb/>
den meinen, und mit lei&#x017F;er Stimme &#x017F;agte er: <hi rendition="#aq">bee<lb/>
good fine girl.</hi> &#x2014; Ich konnte ihm nicht unfreundlich<lb/>
&#x017F;ein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da<lb/>
zog ich das eine End' meines langen Gürtels um &#x017F;ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0173] aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaub- niß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm ſonſt nicht ſchmecken; das ließ ich geſchehen, und alle Weine, die ihm vorgeſetzt wurden, die goß er in dies Glas und trank ſie mit begeiſterten Blicken aus; es war eine wun- derliche Tiſchunterhaltung; bald rückte er ſeinen Fuß dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebſte Unterhaltung ſei: ich ſagte, ich tanze lieber als ich gehe, und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich mei- nen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den ich vorgeſteckt hatte, in's Waſſerglas geſtellt, damit er nicht ſobald welken ſolle, um ihn nach Tiſch wieder vor- zuſtecken, er frug: „Will you give me this?“ ich nickte ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er ſteckte ihn in Buſen und knöpfte die Weſte drüber zu, und ſeufzte, und da ſah er, daß ich roth ward. — Sein Geſicht übergoß ſich mit einem Schmelz von Freund- lichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzu- ſchlagen, als wolle er mich auffordern, ſeine wohlge- fällige Bildung zu beachten; ſein Fuß ſuchte wieder den meinen, und mit leiſer Stimme ſagte er: bee good fine girl. — Ich konnte ihm nicht unfreundlich ſein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da zog ich das eine End' meines langen Gürtels um ſein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/173
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/173>, abgerufen am 21.11.2024.