Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,
Dem Ocean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
Er wandelt unaufhaltsam fort zu Thale.
Doch stürzt sich Oreas mit einemmale,
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden
Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,
Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schaale.
Die Welle sprüht und staunt zurück und weichet,
Und schwillt Berg an, sich immer selbst zu trinken.
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben,
Sie schwankt und ruht zum See zurück gedeichet.
Gestirne spiegelnd sich, beschau'n das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.

Deine fliegenden Blätter, liebste Bettine, kamen
grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Ver-
schwinden in etwas zu steuern. Beiliegend gebe ich Dir
einen Theil derselben zurück; Du siehst wie man ver-
sucht, sich an der Zeit die uns des Liebsten beraubt, zu
rächen und schöne Minuten zu verewigen. Möge sich
Dir der Werth darin spiegeln, den Du für den Dichter
haben mußt.

Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern,
so versäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich

Ein Strom entrauſcht umwölktem Felſenſaale,
Dem Ocean ſich eilig zu verbinden;
Was auch ſich ſpiegeln mag von Grund zu Gründen,
Er wandelt unaufhaltſam fort zu Thale.
Doch ſtürzt ſich Oreas mit einemmale,
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden
Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,
Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schaale.
Die Welle ſprüht und ſtaunt zurück und weichet,
Und ſchwillt Berg an, ſich immer ſelbſt zu trinken.
Gehemmt iſt nun zum Vater hin das Streben,
Sie ſchwankt und ruht zum See zurück gedeichet.
Geſtirne ſpiegelnd ſich, beſchau'n das Blinken
Des Wellenſchlags am Fels, ein neues Leben.

Deine fliegenden Blätter, liebſte Bettine, kamen
grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Ver-
ſchwinden in etwas zu ſteuern. Beiliegend gebe ich Dir
einen Theil derſelben zurück; Du ſiehſt wie man ver-
ſucht, ſich an der Zeit die uns des Liebſten beraubt, zu
rächen und ſchöne Minuten zu verewigen. Möge ſich
Dir der Werth darin ſpiegeln, den Du für den Dichter
haben mußt.

Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern,
ſo verſäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <l>
              <pb facs="#f0186" n="154"/>
            </l>
            <lg n="5">
              <l>Ein Strom entrau&#x017F;cht umwölktem Fel&#x017F;en&#x017F;aale,</l><lb/>
              <l>Dem Ocean &#x017F;ich eilig zu verbinden;</l><lb/>
              <l>Was auch &#x017F;ich &#x017F;piegeln mag von Grund zu Gründen,</l><lb/>
              <l>Er wandelt unaufhalt&#x017F;am fort zu Thale.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Doch &#x017F;türzt &#x017F;ich Oreas mit einemmale,</l><lb/>
              <l>Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden</l><lb/>
              <l>Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,</l><lb/>
              <l>Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schaale.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Die Welle &#x017F;prüht und &#x017F;taunt zurück und weichet,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chwillt Berg an, &#x017F;ich immer &#x017F;elb&#x017F;t zu trinken.</l><lb/>
              <l>Gehemmt i&#x017F;t nun zum Vater hin das Streben,</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Sie &#x017F;chwankt und ruht zum See zurück gedeichet.</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;tirne &#x017F;piegelnd &#x017F;ich, be&#x017F;chau'n das Blinken</l><lb/>
              <l>Des Wellen&#x017F;chlags am Fels, ein neues Leben.</l>
            </lg>
          </lg><lb/>
          <p>Deine fliegenden Blätter, lieb&#x017F;te Bettine, kamen<lb/>
grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Ver-<lb/>
&#x017F;chwinden in etwas zu &#x017F;teuern. Beiliegend gebe ich Dir<lb/>
einen Theil der&#x017F;elben zurück; Du &#x017F;ieh&#x017F;t wie man ver-<lb/>
&#x017F;ucht, &#x017F;ich an der Zeit die uns des Lieb&#x017F;ten beraubt, zu<lb/>
rächen und &#x017F;chöne Minuten zu verewigen. Möge &#x017F;ich<lb/>
Dir der Werth darin &#x017F;piegeln, den Du für den Dichter<lb/>
haben mußt.</p><lb/>
          <p>Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern,<lb/>
&#x017F;o ver&#x017F;äume nicht von allem Nachricht zu geben; ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0186] Ein Strom entrauſcht umwölktem Felſenſaale, Dem Ocean ſich eilig zu verbinden; Was auch ſich ſpiegeln mag von Grund zu Gründen, Er wandelt unaufhaltſam fort zu Thale. Doch ſtürzt ſich Oreas mit einemmale, Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden Herab zur Flut, Behagen dort zu finden, Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schaale. Die Welle ſprüht und ſtaunt zurück und weichet, Und ſchwillt Berg an, ſich immer ſelbſt zu trinken. Gehemmt iſt nun zum Vater hin das Streben, Sie ſchwankt und ruht zum See zurück gedeichet. Geſtirne ſpiegelnd ſich, beſchau'n das Blinken Des Wellenſchlags am Fels, ein neues Leben. Deine fliegenden Blätter, liebſte Bettine, kamen grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Ver- ſchwinden in etwas zu ſteuern. Beiliegend gebe ich Dir einen Theil derſelben zurück; Du ſiehſt wie man ver- ſucht, ſich an der Zeit die uns des Liebſten beraubt, zu rächen und ſchöne Minuten zu verewigen. Möge ſich Dir der Werth darin ſpiegeln, den Du für den Dichter haben mußt. Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern, ſo verſäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/186
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/186>, abgerufen am 21.11.2024.