Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um zwölf, und blieb bis Nachts um ein Uhr, sie fand sich auch den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war große Musik von blasenden Instrumenten, auch wurden Verse zu Savignys Lob gesungen, wo sie so tapfer ein- stimmte, daß man sie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir nun auch deine und ihre Gesundheit tranken, wobei Trompeten und Pauken schmetterten, so ward sie feierlich vergnügt. Nach Tisch erzählte sie der Gesellschaft ein Mähr- chen, alles hatte sich in feierlicher Stille um sie versammelt. Im Anfang holte sie weit aus, das große Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten alle Rollefähigen Personen in der grotesken Weise aus ihrem großen Gedächtniß-Kasten auf das fantastischste geschmückt, es wurden noch allerlei kleinen Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spanische Tän- zerin auf, die mit Castegnetten sehr schön tanzte. Die- ses graziöse Kind giebt hier beim Theater Vorstellungen, ich hab' Dir von ihr noch nicht gesagt, daß sie mich seit Wochen in einem stillen Enthusiasmus erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß sich die Tugend in die reine Kunst verwandle, daß man nehmlich nach den Gesetzen einer himmlischen Har- monie die Glieder des Geistes mit leichtem Enthusias-
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Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um zwölf, und blieb bis Nachts um ein Uhr, ſie fand ſich auch den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war große Muſik von blaſenden Inſtrumenten, auch wurden Verſe zu Savignys Lob geſungen, wo ſie ſo tapfer ein- ſtimmte, daß man ſie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir nun auch deine und ihre Geſundheit tranken, wobei Trompeten und Pauken ſchmetterten, ſo ward ſie feierlich vergnügt. Nach Tiſch erzählte ſie der Geſellſchaft ein Mähr- chen, alles hatte ſich in feierlicher Stille um ſie verſammelt. Im Anfang holte ſie weit aus, das große Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten alle Rollefähigen Perſonen in der grotesken Weiſe aus ihrem großen Gedächtniß-Kaſten auf das fantaſtiſchſte geſchmückt, es wurden noch allerlei kleinen Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spaniſche Tän- zerin auf, die mit Caſtegnetten ſehr ſchön tanzte. Die- ſes graziöſe Kind giebt hier beim Theater Vorſtellungen, ich hab' Dir von ihr noch nicht geſagt, daß ſie mich ſeit Wochen in einem ſtillen Enthuſiasmus erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß ſich die Tugend in die reine Kunſt verwandle, daß man nehmlich nach den Geſetzen einer himmliſchen Har- monie die Glieder des Geiſtes mit leichtem Enthuſias-
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Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um
zwölf, und blieb bis Nachts um ein Uhr, ſie fand ſich auch
den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war
große Muſik von blaſenden Inſtrumenten, auch wurden
Verſe zu Savignys Lob geſungen, wo ſie ſo tapfer ein-
ſtimmte, daß man ſie durch den ganzen Chor durchhörte.
Da wir nun auch deine und ihre Geſundheit tranken, wobei
Trompeten und Pauken ſchmetterten, ſo ward ſie feierlich
vergnügt. Nach Tiſch erzählte ſie der Geſellſchaft ein Mähr-
chen, alles hatte ſich in feierlicher Stille um ſie verſammelt.
Im Anfang holte ſie weit aus, das große Auditorium
mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber
tanzten alle Rollefähigen Perſonen in der grotesken
Weiſe aus ihrem großen Gedächtniß-Kaſten auf das
fantaſtiſchſte geſchmückt, es wurden noch allerlei kleinen
Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spaniſche Tän-
zerin auf, die mit Caſtegnetten ſehr ſchön tanzte. Die-
ſes graziöſe Kind giebt hier beim Theater Vorſtellungen,
ich hab' Dir von ihr noch nicht geſagt, daß ſie mich
ſeit Wochen in einem ſtillen Enthuſiasmus erhält, und
daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als
daß ſich die Tugend in die reine Kunſt verwandle, daß
man nehmlich nach den Geſetzen einer himmliſchen Har-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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