Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Wand an meinem Bett genommen, an dem es seit drei
Tagen hing, und seine Schönheit dem Postwagen an-
vertraut; Du sollst nur sehen was mich reizen kann.
Häng' dies Bild vor Dich, -- schau ihm in diese
schönen Augen, -- in denen der Wahnsinn seiner
Jugend schon überwunden liegt, dann fällt es Dir
gewiß auf, was Sehnsucht erregt. -- Dies Unwie-
derbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt,
und schnell entschwindet, weil es zu herrlich ist für
den Mißbrauch. -- Diesem aber ist es nicht entschwun-
den, es ist ihm nur tiefer in die Seele gesunken,
denn zwischen seinen Lippen haucht sich schon wieder
aus, was sich im erhellten Aug' nicht mehr darf sehen
lassen. -- Wenn man das ganze Gesicht anblickt: --
man hat's so lieb -- man möcht' mit ihm gewesen sein,
um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu ver-
güten durch tausendfache Liebe, -- und wenn man den
breiten vollen Lorbeer erblickt, scheinen alle Wünsche
für ihn erfüllt. Sein ganzes Wesen, -- das Buch was
er an sich hält, macht ihn so lieb; hätt' ich damals
gelebt, ich hätt' ihn nicht verlassen.

August ist weg; ich sang ihm vor: "Sind's nicht
diese, sind's doch andre, die da weinen wenn ich wan-
dre, holder Schatz, gedenk' an mich." Und so wan-

I. 10

Wand an meinem Bett genommen, an dem es ſeit drei
Tagen hing, und ſeine Schönheit dem Poſtwagen an-
vertraut; Du ſollſt nur ſehen was mich reizen kann.
Häng' dies Bild vor Dich, — ſchau ihm in dieſe
ſchönen Augen, — in denen der Wahnſinn ſeiner
Jugend ſchon überwunden liegt, dann fällt es Dir
gewiß auf, was Sehnſucht erregt. — Dies Unwie-
derbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt,
und ſchnell entſchwindet, weil es zu herrlich iſt für
den Mißbrauch. — Dieſem aber iſt es nicht entſchwun-
den, es iſt ihm nur tiefer in die Seele geſunken,
denn zwiſchen ſeinen Lippen haucht ſich ſchon wieder
aus, was ſich im erhellten Aug' nicht mehr darf ſehen
laſſen. — Wenn man das ganze Geſicht anblickt: —
man hat's ſo lieb — man möcht' mit ihm geweſen ſein,
um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu ver-
güten durch tauſendfache Liebe, — und wenn man den
breiten vollen Lorbeer erblickt, ſcheinen alle Wünſche
für ihn erfüllt. Sein ganzes Weſen, — das Buch was
er an ſich hält, macht ihn ſo lieb; hätt' ich damals
gelebt, ich hätt' ihn nicht verlaſſen.

Auguſt iſt weg; ich ſang ihm vor: „Sind's nicht
dieſe, ſind's doch andre, die da weinen wenn ich wan-
dre, holder Schatz, gedenk' an mich.“ Und ſo wan-

I. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0249" n="217"/>
Wand an meinem Bett genommen, an dem es &#x017F;eit drei<lb/>
Tagen hing, und &#x017F;eine Schönheit dem Po&#x017F;twagen an-<lb/>
vertraut; Du &#x017F;oll&#x017F;t nur &#x017F;ehen was mich reizen kann.<lb/>
Häng' dies Bild vor Dich, &#x2014; &#x017F;chau ihm in die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chönen Augen, &#x2014; in denen der Wahn&#x017F;inn &#x017F;einer<lb/>
Jugend &#x017F;chon überwunden liegt, dann fällt es Dir<lb/>
gewiß auf, was Sehn&#x017F;ucht erregt. &#x2014; Dies Unwie-<lb/>
derbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt,<lb/>
und &#x017F;chnell ent&#x017F;chwindet, weil es zu herrlich i&#x017F;t für<lb/>
den Mißbrauch. &#x2014; Die&#x017F;em aber i&#x017F;t es nicht ent&#x017F;chwun-<lb/>
den, es i&#x017F;t ihm nur tiefer in die Seele ge&#x017F;unken,<lb/>
denn zwi&#x017F;chen &#x017F;einen Lippen haucht &#x017F;ich &#x017F;chon wieder<lb/>
aus, was &#x017F;ich im erhellten Aug' nicht mehr darf &#x017F;ehen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Wenn man das ganze Ge&#x017F;icht anblickt: &#x2014;<lb/>
man hat's &#x017F;o lieb &#x2014; man möcht' mit ihm gewe&#x017F;en &#x017F;ein,<lb/>
um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu ver-<lb/>
güten durch tau&#x017F;endfache Liebe, &#x2014; und wenn man den<lb/>
breiten vollen Lorbeer erblickt, &#x017F;cheinen alle Wün&#x017F;che<lb/>
für ihn erfüllt. Sein ganzes We&#x017F;en, &#x2014; das Buch was<lb/>
er an &#x017F;ich hält, macht ihn &#x017F;o lieb; hätt' ich damals<lb/>
gelebt, ich hätt' ihn nicht verla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Augu&#x017F;t i&#x017F;t weg; ich &#x017F;ang ihm vor: &#x201E;Sind's nicht<lb/>
die&#x017F;e, &#x017F;ind's doch andre, die da weinen wenn ich wan-<lb/>
dre, holder Schatz, gedenk' an mich.&#x201C; Und &#x017F;o wan-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 10</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0249] Wand an meinem Bett genommen, an dem es ſeit drei Tagen hing, und ſeine Schönheit dem Poſtwagen an- vertraut; Du ſollſt nur ſehen was mich reizen kann. Häng' dies Bild vor Dich, — ſchau ihm in dieſe ſchönen Augen, — in denen der Wahnſinn ſeiner Jugend ſchon überwunden liegt, dann fällt es Dir gewiß auf, was Sehnſucht erregt. — Dies Unwie- derbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt, und ſchnell entſchwindet, weil es zu herrlich iſt für den Mißbrauch. — Dieſem aber iſt es nicht entſchwun- den, es iſt ihm nur tiefer in die Seele geſunken, denn zwiſchen ſeinen Lippen haucht ſich ſchon wieder aus, was ſich im erhellten Aug' nicht mehr darf ſehen laſſen. — Wenn man das ganze Geſicht anblickt: — man hat's ſo lieb — man möcht' mit ihm geweſen ſein, um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu ver- güten durch tauſendfache Liebe, — und wenn man den breiten vollen Lorbeer erblickt, ſcheinen alle Wünſche für ihn erfüllt. Sein ganzes Weſen, — das Buch was er an ſich hält, macht ihn ſo lieb; hätt' ich damals gelebt, ich hätt' ihn nicht verlaſſen. Auguſt iſt weg; ich ſang ihm vor: „Sind's nicht dieſe, ſind's doch andre, die da weinen wenn ich wan- dre, holder Schatz, gedenk' an mich.“ Und ſo wan- I. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/249
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/249>, abgerufen am 24.11.2024.