einem Tuch, das ich über meinem Kopf schwenkte, aber ich wagte nicht über mich zu sehen, aus Furcht in's Wasser zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, -- dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Gestalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Flusse stehen sah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen fassen; endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord seines Dreibords. Da lag ich auf schmalem Brett, Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo seine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem sehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und ihr Fahrzeug anstrichen.
Wie leidenschaftlos wird man, wenn man so frei und einsam sich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt sich Ruh' durch alle Glieder, sie ertränkt einen mit sich selbsten, sie trägt die Seele so still und sanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätschern hörte. Da sehnte ich mich nicht wie sonst meine Gedanken vor Dir auszusprechen, daß sie gleich den Wellen an der Brandung anschlagen und
einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, — dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen; endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und ihr Fahrzeug anſtrichen.
Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt ſich Ruh' durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0256"n="224"/>
einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber<lb/>
ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's<lb/>
Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war<lb/>
guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich<lb/>
hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer<lb/>
vorüber, — dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der<lb/>
Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen<lb/>
Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die<lb/>
Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen;<lb/>
endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war,<lb/>
und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag<lb/>
ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir;<lb/>
wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo<lb/>ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem<lb/>ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und<lb/>
ihr Fahrzeug anſtrichen.</p><lb/><p>Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei<lb/>
und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt<lb/>ſich Ruh' durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich<lb/>ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der<lb/>
Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht<lb/>
eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht<lb/>
wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß<lb/>ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[224/0256]
einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber
ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's
Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war
guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich
hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer
vorüber, — dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der
Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen
Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die
Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen;
endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war,
und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag
ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir;
wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo
ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem
ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und
ihr Fahrzeug anſtrichen.
Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei
und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt
ſich Ruh' durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich
ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der
Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht
eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht
wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß
ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/256>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.