Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

belebter weiter strömen; ich seufzte nicht nach jenen Re-
gungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß sie
Geheimnisse wecken und dem glühenden Jugendgeist
Werkstätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der
rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte sein Pfeifchen an-
gezünd't; ich sagte: Herr Schiffskapitain, Ihr seht ja
aus als hätt' die Sonne Euch zum Harnisch ausglü-
hen wollen; -- ja, sagte er, jetzt sitz' ich im Kühlen;
aber ich fahre nun schon vier Jahre alle Reisende bei
Bingen über den Rhein, und da ist keiner so weit her-
gekommen wie ich. Ich war in Indien; da sah ich
ganz anders aus, da wuchsen mir die Haare so lang. --
Und war in Spanien; da ist die Hitze nicht so bequem,
und ich hab' Strabatzen ausgestanden; da fielen mir
die Haare aus, und ich kriegte einen schwarzen Kraus-
kopf. -- Und hier am Rhein wird's wieder anders: da
wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Noth
und Arbeit, wie es ein Mensch kaum erträgt; und wenn
ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hin-
ter einander schlafen, -- da mocht' es regnen und blitzen
unter freiem Himmel. Hier schlaf' ich Nachts keine
Stunde; wer's einmal geschmeckt hat auf offner See,
dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaa-
rige Holländer über die Gosse zu fahren, -- und sollt'

10**

belebter weiter ſtrömen; ich ſeufzte nicht nach jenen Re-
gungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß ſie
Geheimniſſe wecken und dem glühenden Jugendgeiſt
Werkſtätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der
rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte ſein Pfeifchen an-
gezünd't; ich ſagte: Herr Schiffskapitain, Ihr ſeht ja
aus als hätt' die Sonne Euch zum Harniſch ausglü-
hen wollen; — ja, ſagte er, jetzt ſitz' ich im Kühlen;
aber ich fahre nun ſchon vier Jahre alle Reiſende bei
Bingen über den Rhein, und da iſt keiner ſo weit her-
gekommen wie ich. Ich war in Indien; da ſah ich
ganz anders aus, da wuchſen mir die Haare ſo lang. —
Und war in Spanien; da iſt die Hitze nicht ſo bequem,
und ich hab' Strabatzen ausgeſtanden; da fielen mir
die Haare aus, und ich kriegte einen ſchwarzen Kraus-
kopf. — Und hier am Rhein wird's wieder anders: da
wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Noth
und Arbeit, wie es ein Menſch kaum erträgt; und wenn
ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hin-
ter einander ſchlafen, — da mocht' es regnen und blitzen
unter freiem Himmel. Hier ſchlaf' ich Nachts keine
Stunde; wer's einmal geſchmeckt hat auf offner See,
dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaa-
rige Holländer über die Goſſe zu fahren, — und ſollt'

10**
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0257" n="225"/>
belebter weiter &#x017F;trömen; ich &#x017F;eufzte nicht nach jenen Re-<lb/>
gungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß &#x017F;ie<lb/>
Geheimni&#x017F;&#x017F;e wecken und dem glühenden Jugendgei&#x017F;t<lb/>
Werk&#x017F;tätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der<lb/>
rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte &#x017F;ein Pfeifchen an-<lb/>
gezünd't; ich &#x017F;agte: Herr Schiffskapitain, Ihr &#x017F;eht ja<lb/>
aus als hätt' die Sonne Euch zum Harni&#x017F;ch ausglü-<lb/>
hen wollen; &#x2014; ja, &#x017F;agte er, jetzt &#x017F;itz' ich im Kühlen;<lb/>
aber ich fahre nun &#x017F;chon vier Jahre alle Rei&#x017F;ende bei<lb/>
Bingen über den Rhein, und da i&#x017F;t keiner &#x017F;o weit her-<lb/>
gekommen wie ich. Ich war in Indien; da &#x017F;ah ich<lb/>
ganz anders aus, da wuch&#x017F;en mir die Haare &#x017F;o lang. &#x2014;<lb/>
Und war in Spanien; da i&#x017F;t die Hitze nicht &#x017F;o bequem,<lb/>
und ich hab' Strabatzen ausge&#x017F;tanden; da fielen mir<lb/>
die Haare aus, und ich kriegte einen &#x017F;chwarzen Kraus-<lb/>
kopf. &#x2014; Und hier am Rhein wird's wieder anders: da<lb/>
wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Noth<lb/>
und Arbeit, wie es ein Men&#x017F;ch kaum erträgt; und wenn<lb/>
ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hin-<lb/>
ter einander &#x017F;chlafen, &#x2014; da mocht' es regnen und blitzen<lb/>
unter freiem Himmel. Hier &#x017F;chlaf' ich Nachts keine<lb/>
Stunde; wer's einmal ge&#x017F;chmeckt hat auf offner See,<lb/>
dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaa-<lb/>
rige Holländer über die Go&#x017F;&#x017F;e zu fahren, &#x2014; und &#x017F;ollt'<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10**</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0257] belebter weiter ſtrömen; ich ſeufzte nicht nach jenen Re- gungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß ſie Geheimniſſe wecken und dem glühenden Jugendgeiſt Werkſtätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte ſein Pfeifchen an- gezünd't; ich ſagte: Herr Schiffskapitain, Ihr ſeht ja aus als hätt' die Sonne Euch zum Harniſch ausglü- hen wollen; — ja, ſagte er, jetzt ſitz' ich im Kühlen; aber ich fahre nun ſchon vier Jahre alle Reiſende bei Bingen über den Rhein, und da iſt keiner ſo weit her- gekommen wie ich. Ich war in Indien; da ſah ich ganz anders aus, da wuchſen mir die Haare ſo lang. — Und war in Spanien; da iſt die Hitze nicht ſo bequem, und ich hab' Strabatzen ausgeſtanden; da fielen mir die Haare aus, und ich kriegte einen ſchwarzen Kraus- kopf. — Und hier am Rhein wird's wieder anders: da wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Noth und Arbeit, wie es ein Menſch kaum erträgt; und wenn ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hin- ter einander ſchlafen, — da mocht' es regnen und blitzen unter freiem Himmel. Hier ſchlaf' ich Nachts keine Stunde; wer's einmal geſchmeckt hat auf offner See, dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaa- rige Holländer über die Goſſe zu fahren, — und ſollt' 10**

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/257
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/257>, abgerufen am 22.11.2024.