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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Goethe an B.


Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreise nach
Carlsbad kommt dein lieber Brief aus dem Rheingau;
auf jeder Seite so viel Herrliches und Wichtiges leuch-
tet mir entgegen, daß ich im voraus Beschlag lege auf
jede prophetische Eingebung deiner Liebe; deine Briefe
wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur
auftrößle, um den schönen Reichthum den sie enthalten,
zu ordnen. Fahre fort, mit diesem lieblichen Irrlichter-
tanz mein beschauliches Leben zu ergötzen, und bezie-
hende Abentheuer zu lenken; -- es ist mir alles aus
eigner Jugenderinnerung bekannt, wie die heimathliche
Ferne, deren man sich deutlich bewußt fühlt, obschon
man sie schon lange verlassen hat. Forsche doch nach
dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn
Du ihm wieder begegnest; es wäre doch wohl interessant
zu erfahren, wie der indische Seefahrer endlich auf den
Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den bösen
Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen, Adieu! Der
Eichwald und die kühlen Bergschluchten, die meiner
harren, sind der Stimmung nicht ungünstig, die Du
so unwiderstehlich herauszulocken verstehst; auch pre-

Goethe an B.


Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreiſe nach
Carlsbad kommt dein lieber Brief aus dem Rheingau;
auf jeder Seite ſo viel Herrliches und Wichtiges leuch-
tet mir entgegen, daß ich im voraus Beſchlag lege auf
jede prophetiſche Eingebung deiner Liebe; deine Briefe
wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur
auftrößle, um den ſchönen Reichthum den ſie enthalten,
zu ordnen. Fahre fort, mit dieſem lieblichen Irrlichter-
tanz mein beſchauliches Leben zu ergötzen, und bezie-
hende Abentheuer zu lenken; — es iſt mir alles aus
eigner Jugenderinnerung bekannt, wie die heimathliche
Ferne, deren man ſich deutlich bewußt fühlt, obſchon
man ſie ſchon lange verlaſſen hat. Forſche doch nach
dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn
Du ihm wieder begegneſt; es wäre doch wohl intereſſant
zu erfahren, wie der indiſche Seefahrer endlich auf den
Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den böſen
Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen, Adieu! Der
Eichwald und die kühlen Bergſchluchten, die meiner
harren, ſind der Stimmung nicht ungünſtig, die Du
ſo unwiderſtehlich herauszulocken verſtehſt; auch pre-

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[229/0261] Goethe an B. Am 7. Juni. Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreiſe nach Carlsbad kommt dein lieber Brief aus dem Rheingau; auf jeder Seite ſo viel Herrliches und Wichtiges leuch- tet mir entgegen, daß ich im voraus Beſchlag lege auf jede prophetiſche Eingebung deiner Liebe; deine Briefe wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur auftrößle, um den ſchönen Reichthum den ſie enthalten, zu ordnen. Fahre fort, mit dieſem lieblichen Irrlichter- tanz mein beſchauliches Leben zu ergötzen, und bezie- hende Abentheuer zu lenken; — es iſt mir alles aus eigner Jugenderinnerung bekannt, wie die heimathliche Ferne, deren man ſich deutlich bewußt fühlt, obſchon man ſie ſchon lange verlaſſen hat. Forſche doch nach dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn Du ihm wieder begegneſt; es wäre doch wohl intereſſant zu erfahren, wie der indiſche Seefahrer endlich auf den Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den böſen Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen, Adieu! Der Eichwald und die kühlen Bergſchluchten, die meiner harren, ſind der Stimmung nicht ungünſtig, die Du ſo unwiderſtehlich herauszulocken verſtehſt; auch pre-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/261>, abgerufen am 22.11.2024.