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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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schauen die entferntesten Gebirge: auf der einen Seite
der Altkönig, auf der andern der ganze Hundsrück bis
Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannst
Du so viel Land übersehen, als Du Lust hast. Wie
ein breites Feiergewand zieht es der Rhein schleppend
hinter sich her, den Du vor der Kapelle mit allen grü-
nen Inseln wie mit Schmaragden geschmückt, liegen
siehst; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Jo-
hannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der
beste Wein wächst, liegen von verschiednen Seiten, und
fangen die heißen Sonnenstrahlen wie blitzende Juwelen
auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die
Kraft des Weines deutlich erkennen, wie sich die Nebel
zu Ballen wälzen und sich an den Bergwänden herab-
senken, wie das Erdreich sie gierig schluckt, und wie die
heißen Winde drüber herstreifen. Es ist nichts schöner,
als wenn das Abendroth über einen solchen benebelten
Weinberg fällt; da ist's, als ob der Herr selbst die alte
Schöpfung wieder angefrischt habe, ja, als ob der Wein-
berg vom eignen Geist benebelt sei. -- Und wenn dann
endlich die helle Nacht heraufsteigt und allem Ruh'
giebt, -- und mir auch, die vorher wohl die Arme aus-
streckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht
hat; -- deinen Namen wohl hundertmal auf den Lip-

ſchauen die entfernteſten Gebirge: auf der einen Seite
der Altkönig, auf der andern der ganze Hundsrück bis
Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannſt
Du ſo viel Land überſehen, als Du Luſt haſt. Wie
ein breites Feiergewand zieht es der Rhein ſchleppend
hinter ſich her, den Du vor der Kapelle mit allen grü-
nen Inſeln wie mit Schmaragden geſchmückt, liegen
ſiehſt; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Jo-
hannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der
beſte Wein wächſt, liegen von verſchiednen Seiten, und
fangen die heißen Sonnenſtrahlen wie blitzende Juwelen
auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die
Kraft des Weines deutlich erkennen, wie ſich die Nebel
zu Ballen wälzen und ſich an den Bergwänden herab-
ſenken, wie das Erdreich ſie gierig ſchluckt, und wie die
heißen Winde drüber herſtreifen. Es iſt nichts ſchöner,
als wenn das Abendroth über einen ſolchen benebelten
Weinberg fällt; da iſt's, als ob der Herr ſelbſt die alte
Schöpfung wieder angefriſcht habe, ja, als ob der Wein-
berg vom eignen Geiſt benebelt ſei. — Und wenn dann
endlich die helle Nacht heraufſteigt und allem Ruh'
giebt, — und mir auch, die vorher wohl die Arme aus-
ſtreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht
hat; — deinen Namen wohl hundertmal auf den Lip-

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[252/0284] ſchauen die entfernteſten Gebirge: auf der einen Seite der Altkönig, auf der andern der ganze Hundsrück bis Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannſt Du ſo viel Land überſehen, als Du Luſt haſt. Wie ein breites Feiergewand zieht es der Rhein ſchleppend hinter ſich her, den Du vor der Kapelle mit allen grü- nen Inſeln wie mit Schmaragden geſchmückt, liegen ſiehſt; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Jo- hannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der beſte Wein wächſt, liegen von verſchiednen Seiten, und fangen die heißen Sonnenſtrahlen wie blitzende Juwelen auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die Kraft des Weines deutlich erkennen, wie ſich die Nebel zu Ballen wälzen und ſich an den Bergwänden herab- ſenken, wie das Erdreich ſie gierig ſchluckt, und wie die heißen Winde drüber herſtreifen. Es iſt nichts ſchöner, als wenn das Abendroth über einen ſolchen benebelten Weinberg fällt; da iſt's, als ob der Herr ſelbſt die alte Schöpfung wieder angefriſcht habe, ja, als ob der Wein- berg vom eignen Geiſt benebelt ſei. — Und wenn dann endlich die helle Nacht heraufſteigt und allem Ruh' giebt, — und mir auch, die vorher wohl die Arme aus- ſtreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht hat; — deinen Namen wohl hundertmal auf den Lip-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/284>, abgerufen am 22.11.2024.