sagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeschla- fen, -- dann und wann weckten mich irrende Lüftchen, dann dacht' ich an Dich; so oft ich erwachte, rief ich Dich zu mir, ich sagte immer im Herzen: Goethe, sei bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte ich, daß ich längs den schilfigen Ufern des Rheins schiffe, und da wo es am tiefsten war, zwischen schwarzen Fels- spalten, da entfiel mir dein Ring; ich sah ihn sinken, tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach Hülfe rufen, -- da erwachte ich im Morgenroth, neu- beglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Pro- phet! -- deute mir diesen Traum; komm dem Schicksal zuvor, laß unserer Liebe nicht zu nahe geschehen, nach dieser schönen Nacht, wo ich zwischen Furcht und Freude im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte *). Ich
*)
Als ich auf dem Euphrat schiffte, Streifte sich der goldne Ring Fingerab in Wasserklüfte, Den ich jüngst von Dir empfing.
Also träumt' ich. Morgenröthe Blitzt' in's Auge durch den Baum, Sag' Poete, sag' Prophete! Was bedeutet dieser Traum?
ſagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeſchla- fen, — dann und wann weckten mich irrende Lüftchen, dann dacht' ich an Dich; ſo oft ich erwachte, rief ich Dich zu mir, ich ſagte immer im Herzen: Goethe, ſei bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte ich, daß ich längs den ſchilfigen Ufern des Rheins ſchiffe, und da wo es am tiefſten war, zwiſchen ſchwarzen Fels- ſpalten, da entfiel mir dein Ring; ich ſah ihn ſinken, tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach Hülfe rufen, — da erwachte ich im Morgenroth, neu- beglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Pro- phet! — deute mir dieſen Traum; komm dem Schickſal zuvor, laß unſerer Liebe nicht zu nahe geſchehen, nach dieſer ſchönen Nacht, wo ich zwiſchen Furcht und Freude im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte *). Ich
*)
Als ich auf dem Euphrat ſchiffte, Streifte ſich der goldne Ring Fingerab in Waſſerklüfte, Den ich jüngſt von Dir empfing.
Alſo träumt' ich. Morgenröthe Blitzt' in's Auge durch den Baum, Sag' Poete, ſag' Prophete! Was bedeutet dieſer Traum?
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0286"n="254"/>ſagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeſchla-<lb/>
fen, — dann und wann weckten mich irrende Lüftchen,<lb/>
dann dacht' ich an Dich; ſo oft ich erwachte, rief ich<lb/>
Dich zu mir, ich ſagte immer im Herzen: Goethe, ſei<lb/>
bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte<lb/>
ich, daß ich längs den ſchilfigen Ufern des Rheins ſchiffe,<lb/>
und da wo es am tiefſten war, zwiſchen ſchwarzen Fels-<lb/>ſpalten, da entfiel mir dein Ring; ich ſah ihn ſinken,<lb/>
tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach<lb/>
Hülfe rufen, — da erwachte ich im Morgenroth, neu-<lb/>
beglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Pro-<lb/>
phet! — deute mir dieſen Traum; komm dem Schickſal<lb/>
zuvor, laß unſerer Liebe nicht zu nahe geſchehen, nach<lb/>
dieſer ſchönen Nacht, wo ich zwiſchen Furcht und Freude<lb/>
im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte <notexml:id="note-0286"next="#note-0287"place="foot"n="*)"><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Als ich auf dem Euphrat ſchiffte,</l><lb/><l>Streifte ſich der goldne Ring</l><lb/><l>Fingerab in Waſſerklüfte,</l><lb/><l>Den ich jüngſt von Dir empfing.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Alſo träumt' ich. Morgenröthe</l><lb/><l>Blitzt' in's Auge durch den Baum,</l><lb/><l>Sag' Poete, ſag' Prophete!</l><lb/><l>Was bedeutet dieſer Traum?</l></lg></lg></note>. Ich<lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></p></div></div></body></text></TEI>
[254/0286]
ſagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeſchla-
fen, — dann und wann weckten mich irrende Lüftchen,
dann dacht' ich an Dich; ſo oft ich erwachte, rief ich
Dich zu mir, ich ſagte immer im Herzen: Goethe, ſei
bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte
ich, daß ich längs den ſchilfigen Ufern des Rheins ſchiffe,
und da wo es am tiefſten war, zwiſchen ſchwarzen Fels-
ſpalten, da entfiel mir dein Ring; ich ſah ihn ſinken,
tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach
Hülfe rufen, — da erwachte ich im Morgenroth, neu-
beglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Pro-
phet! — deute mir dieſen Traum; komm dem Schickſal
zuvor, laß unſerer Liebe nicht zu nahe geſchehen, nach
dieſer ſchönen Nacht, wo ich zwiſchen Furcht und Freude
im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte *). Ich
*) Als ich auf dem Euphrat ſchiffte,
Streifte ſich der goldne Ring
Fingerab in Waſſerklüfte,
Den ich jüngſt von Dir empfing.
Alſo träumt' ich. Morgenröthe
Blitzt' in's Auge durch den Baum,
Sag' Poete, ſag' Prophete!
Was bedeutet dieſer Traum?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/286>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.