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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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ter vor der Erlösung, vor der Himmelfahrt. Er kam
und führte sie mit sich gen Himmel, und jetzt, wo sie
erlös't sind, können sie selber erlösen, -- sie können die
harrende Sehnsucht befriedigen. So ist es mit den
Christen, so ist es mit den Tönen: ein jeder Christ fühlt
den Erlöser in sich, ein jeder Ton kann sich selbst zum
Vermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk
der Erlösung aus dem Sinnlichen in's Himmlische voll-
bringen, und nur durch Christum gehen wir in das
Reich des Geistes ein, und nur durch die Sept wird das
erstarrte Reich der Töne erlös't und wird Musik; ewig
bewegter Geist, was eigentlich der Himmel ist; so wie
sie sich berühren, erzeugen sich neue Geister, neue Be-
griffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Of-
fenbarungen, Musik ist das Medium des Geistes, wo-
durch das Sinnliche geistig wird -- und wie die Er-
lösung über alle sich verbreitet, die von dem lebendigen
Geist der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben sich seh-
nen: so leitet die Sept durch ihre Auflösung alle Töne
die zu ihr um Erlösung bitten, auf tausend ver-
schiednen Wegen zu ihrem Ursprung, zum göttli-
chen Geist. Und wir arme Menschen sollten uns ge-
nügen lassen, daß wir fühlen: unser ganzes Dasein ist
ein Zubereiten, Seeligkeit zu fassen, und sollten nicht

I. 12

ter vor der Erlöſung, vor der Himmelfahrt. Er kam
und führte ſie mit ſich gen Himmel, und jetzt, wo ſie
erlöſ't ſind, können ſie ſelber erlöſen, — ſie können die
harrende Sehnſucht befriedigen. So iſt es mit den
Chriſten, ſo iſt es mit den Tönen: ein jeder Chriſt fühlt
den Erlöſer in ſich, ein jeder Ton kann ſich ſelbſt zum
Vermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk
der Erlöſung aus dem Sinnlichen in's Himmliſche voll-
bringen, und nur durch Chriſtum gehen wir in das
Reich des Geiſtes ein, und nur durch die Sept wird das
erſtarrte Reich der Töne erlöſ't und wird Muſik; ewig
bewegter Geiſt, was eigentlich der Himmel iſt; ſo wie
ſie ſich berühren, erzeugen ſich neue Geiſter, neue Be-
griffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Of-
fenbarungen, Muſik iſt das Medium des Geiſtes, wo-
durch das Sinnliche geiſtig wird — und wie die Er-
löſung über alle ſich verbreitet, die von dem lebendigen
Geiſt der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben ſich ſeh-
nen: ſo leitet die Sept durch ihre Auflöſung alle Töne
die zu ihr um Erlöſung bitten, auf tauſend ver-
ſchiednen Wegen zu ihrem Urſprung, zum göttli-
chen Geiſt. Und wir arme Menſchen ſollten uns ge-
nügen laſſen, daß wir fühlen: unſer ganzes Daſein iſt
ein Zubereiten, Seeligkeit zu faſſen, und ſollten nicht

I. 12
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[265/0297] ter vor der Erlöſung, vor der Himmelfahrt. Er kam und führte ſie mit ſich gen Himmel, und jetzt, wo ſie erlöſ't ſind, können ſie ſelber erlöſen, — ſie können die harrende Sehnſucht befriedigen. So iſt es mit den Chriſten, ſo iſt es mit den Tönen: ein jeder Chriſt fühlt den Erlöſer in ſich, ein jeder Ton kann ſich ſelbſt zum Vermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk der Erlöſung aus dem Sinnlichen in's Himmliſche voll- bringen, und nur durch Chriſtum gehen wir in das Reich des Geiſtes ein, und nur durch die Sept wird das erſtarrte Reich der Töne erlöſ't und wird Muſik; ewig bewegter Geiſt, was eigentlich der Himmel iſt; ſo wie ſie ſich berühren, erzeugen ſich neue Geiſter, neue Be- griffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Of- fenbarungen, Muſik iſt das Medium des Geiſtes, wo- durch das Sinnliche geiſtig wird — und wie die Er- löſung über alle ſich verbreitet, die von dem lebendigen Geiſt der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben ſich ſeh- nen: ſo leitet die Sept durch ihre Auflöſung alle Töne die zu ihr um Erlöſung bitten, auf tauſend ver- ſchiednen Wegen zu ihrem Urſprung, zum göttli- chen Geiſt. Und wir arme Menſchen ſollten uns ge- nügen laſſen, daß wir fühlen: unſer ganzes Daſein iſt ein Zubereiten, Seeligkeit zu faſſen, und ſollten nicht I. 12

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/297>, abgerufen am 22.11.2024.