kommen sie zu einander? es fühlt das ewige Gesetz der Liebe, daß es allen verbindet. -- Und dann muß ich Dir auch noch eins sagen: Komponisten sind keine Mau- rer, die Steine auf einander backen; den Rauchfang nicht vergessen; die Treppe nicht, und nicht den Dach- stuhl, und die Thür nicht, wo sie wieder herausschlüpfen können und glauben, sie haben ein Haus gebaut. -- Das sind mir keine Komponisten, die Deinen Liedern ein artig Gewand zuschneiden, das hinten und vornen lang genug ist. O, Deine Lieder, die durch's Herz bre- chen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben saß auf dem Rheinfels, und der Wind die starken Eichen bog, daß sie krachten, und sie saus'ten und braus'ten im Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über den Wellen. -- Da hab' ich's gewagt zu singen; da war's keine Tonart -- da war's kein Übergang -- da war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was so gewaltig mit in die Natur einstimmte: es war der Drang, eins mit ihr zu sein. Da hab' ich's wohl empfunden, wie Musik Deinem Genius einwohnt! Der hat sich mir gezeigt, schwebend über den Wassern, und hat mir's ein- geschärft, daß ich Dich liebe. -- Ach Goethe, laß Dir keine Liedchen vorlallen, und glaube nicht, Du müßtest sie verstehen und würdigen lernen; ergieb Dich auf
I. 13
kommen ſie zu einander? es fühlt das ewige Geſetz der Liebe, daß es allen verbindet. — Und dann muß ich Dir auch noch eins ſagen: Komponiſten ſind keine Mau- rer, die Steine auf einander backen; den Rauchfang nicht vergeſſen; die Treppe nicht, und nicht den Dach- ſtuhl, und die Thür nicht, wo ſie wieder herausſchlüpfen können und glauben, ſie haben ein Haus gebaut. — Das ſind mir keine Komponiſten, die Deinen Liedern ein artig Gewand zuſchneiden, das hinten und vornen lang genug iſt. O, Deine Lieder, die durch's Herz bre- chen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben ſaß auf dem Rheinfels, und der Wind die ſtarken Eichen bog, daß ſie krachten, und ſie ſaus'ten und braus'ten im Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über den Wellen. — Da hab' ich's gewagt zu ſingen; da war's keine Tonart — da war's kein Übergang — da war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was ſo gewaltig mit in die Natur einſtimmte: es war der Drang, eins mit ihr zu ſein. Da hab' ich's wohl empfunden, wie Muſik Deinem Genius einwohnt! Der hat ſich mir gezeigt, ſchwebend über den Waſſern, und hat mir's ein- geſchärft, daß ich Dich liebe. — Ach Goethe, laß Dir keine Liedchen vorlallen, und glaube nicht, Du müßteſt ſie verſtehen und würdigen lernen; ergieb Dich auf
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kommen ſie zu einander? es fühlt das ewige Geſetz der
Liebe, daß es allen verbindet. — Und dann muß ich
Dir auch noch eins ſagen: Komponiſten ſind keine Mau-
rer, die Steine auf einander backen; den Rauchfang
nicht vergeſſen; die Treppe nicht, und nicht den Dach-
ſtuhl, und die Thür nicht, wo ſie wieder herausſchlüpfen
können und glauben, ſie haben ein Haus gebaut. —
Das ſind mir keine Komponiſten, die Deinen Liedern
ein artig Gewand zuſchneiden, das hinten und vornen
lang genug iſt. O, Deine Lieder, die durch's Herz bre-
chen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben
ſaß auf dem Rheinfels, und der Wind die ſtarken Eichen
bog, daß ſie krachten, und ſie ſaus'ten und braus'ten im
Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über
den Wellen. — Da hab' ich's gewagt zu ſingen; da
war's keine Tonart — da war's kein Übergang — da
war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was ſo
gewaltig mit in die Natur einſtimmte: es war der Drang,
eins mit ihr zu ſein. Da hab' ich's wohl empfunden,
wie Muſik Deinem Genius einwohnt! Der hat ſich mir
gezeigt, ſchwebend über den Waſſern, und hat mir's ein-
geſchärft, daß ich Dich liebe. — Ach Goethe, laß Dir
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/321>, abgerufen am 24.11.2024.
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