Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies mit besonderem Schauer, und ich schauderte zum Plaisir ein klein bischen mit; ich sagte: "ich glaube wohl, daß ein frommer Schäfer sich vor dem Hüter eines Löwen fürchten muß." "Was?" sagte er, "ich war damals kein Schäfer, sondern Soldat, und auch gar nicht be- sonders fromm; ich freite um ein Schätzchen, und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; ich kehrte um." -- "Nun," fragt' ich: "Euer Schätzchen, das hat wohl umsonst auf Euch ge- wartet?" -- "Ja," sagte er, "wo Geister sich ein- mischen, da muß der Mensch dahinten bleiben." -- Ich meinte, wenn man liebe, brauche man sich vor Geistern nicht zu fürchten, und könne sich grade dann für ihres Gleichen achten; denn die Nacht ist zwar keines Men- schen Freund, aber des Liebenden Freund ist sie.
Ich fragte den Schäfer, wie er sich bei seinem ein- samen Geschäft die Zeit vertreibe in den langen Ta- gen; -- er ging den Berg hinauf, die ganze Heerde hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die Heerde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine schöne Schalmei -- so nannte er ein Hautbois mit sil- bernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er sagte:
Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies mit beſonderem Schauer, und ich ſchauderte zum Plaiſir ein klein bischen mit; ich ſagte: „ich glaube wohl, daß ein frommer Schäfer ſich vor dem Hüter eines Löwen fürchten muß.“ „Was?“ ſagte er, „ich war damals kein Schäfer, ſondern Soldat, und auch gar nicht be- ſonders fromm; ich freite um ein Schätzchen, und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; ich kehrte um.“ — „Nun,“ fragt' ich: „Euer Schätzchen, das hat wohl umſonſt auf Euch ge- wartet?“ — „Ja,“ ſagte er, „wo Geiſter ſich ein- miſchen, da muß der Menſch dahinten bleiben.“ — Ich meinte, wenn man liebe, brauche man ſich vor Geiſtern nicht zu fürchten, und könne ſich grade dann für ihres Gleichen achten; denn die Nacht iſt zwar keines Men- ſchen Freund, aber des Liebenden Freund iſt ſie.
Ich fragte den Schäfer, wie er ſich bei ſeinem ein- ſamen Geſchäft die Zeit vertreibe in den langen Ta- gen; — er ging den Berg hinauf, die ganze Heerde hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die Heerde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine ſchöne Schalmei — ſo nannte er ein Hautbois mit ſil- bernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er ſagte:
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Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies
mit beſonderem Schauer, und ich ſchauderte zum Plaiſir
ein klein bischen mit; ich ſagte: „ich glaube wohl, daß
ein frommer Schäfer ſich vor dem Hüter eines Löwen
fürchten muß.“ „Was?“ ſagte er, „ich war damals
kein Schäfer, ſondern Soldat, und auch gar nicht be-
ſonders fromm; ich freite um ein Schätzchen, und war
herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um
Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging
ich nicht weiter; ich kehrte um.“ — „Nun,“ fragt' ich:
„Euer Schätzchen, das hat wohl umſonſt auf Euch ge-
wartet?“ — „Ja,“ ſagte er, „wo Geiſter ſich ein-
miſchen, da muß der Menſch dahinten bleiben.“ — Ich
meinte, wenn man liebe, brauche man ſich vor Geiſtern
nicht zu fürchten, und könne ſich grade dann für ihres
Gleichen achten; denn die Nacht iſt zwar keines Men-
ſchen Freund, aber des Liebenden Freund iſt ſie.
Ich fragte den Schäfer, wie er ſich bei ſeinem ein-
ſamen Geſchäft die Zeit vertreibe in den langen Ta-
gen; — er ging den Berg hinauf, die ganze Heerde
hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die
Heerde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine
ſchöne Schalmei — ſo nannte er ein Hautbois mit ſil-
bernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er ſagte:
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/328>, abgerufen am 24.11.2024.
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