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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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"die hat mir ein Franzose geschenkt, darauf kann ich
blasen, daß man es eine Stunde weit hört, wenn ich
hier auf der Höhe weide, und seh' ein Schiffchen mit
lustigen Leuten drüben, da blas' ich; in der Ferne nimmt
sich die Schalmei wunderschön aus, besonders wenn das
Wasser so still und sonnig ist wie heute; das Blasen ist
mir lieber wie Essen und Trinken." Er setzte an, und
wendete sich nach dem Thal, um das Echo hören zu
lassen; nun blies er das Lied des weissagenden Tempel-
knaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner
Eingebung; die feierliche Stille, die aus diesen Tönen
hervorbricht und sich mitten im leeren Raum ausdehnt,
beweist wohl, daß die Geister auch in der sinnlichen
Welt einen Platz einnehmen; zum wenigsten ward alles
anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der
ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von
der Melodie beherrscht, und athmeten ihren weissagen-
den Geist; -- die Heerde hatte sich zum Ruhen gelagert;
der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir
entfernt auf der Höhe stand, und die Begeistrung eines
Virtuosen empfand, der sich selbst überbietet, weil er
er fühlt, er werde ganz genossen und verstanden. Er
ließ das Echo eine sehr feine Rolle drin spielen; hier
und da ließ er es in eine Lücke einschmelzen; dann wie-

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„die hat mir ein Franzoſe geſchenkt, darauf kann ich
blaſen, daß man es eine Stunde weit hört, wenn ich
hier auf der Höhe weide, und ſeh' ein Schiffchen mit
luſtigen Leuten drüben, da blaſ' ich; in der Ferne nimmt
ſich die Schalmei wunderſchön aus, beſonders wenn das
Waſſer ſo ſtill und ſonnig iſt wie heute; das Blaſen iſt
mir lieber wie Eſſen und Trinken.“ Er ſetzte an, und
wendete ſich nach dem Thal, um das Echo hören zu
laſſen; nun blies er das Lied des weiſſagenden Tempel-
knaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner
Eingebung; die feierliche Stille, die aus dieſen Tönen
hervorbricht und ſich mitten im leeren Raum ausdehnt,
beweiſt wohl, daß die Geiſter auch in der ſinnlichen
Welt einen Platz einnehmen; zum wenigſten ward alles
anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der
ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von
der Melodie beherrſcht, und athmeten ihren weiſſagen-
den Geiſt; — die Heerde hatte ſich zum Ruhen gelagert;
der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir
entfernt auf der Höhe ſtand, und die Begeiſtrung eines
Virtuoſen empfand, der ſich ſelbſt überbietet, weil er
er fühlt, er werde ganz genoſſen und verſtanden. Er
ließ das Echo eine ſehr feine Rolle drin ſpielen; hier
und da ließ er es in eine Lücke einſchmelzen; dann wie-

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[297/0329] „die hat mir ein Franzoſe geſchenkt, darauf kann ich blaſen, daß man es eine Stunde weit hört, wenn ich hier auf der Höhe weide, und ſeh' ein Schiffchen mit luſtigen Leuten drüben, da blaſ' ich; in der Ferne nimmt ſich die Schalmei wunderſchön aus, beſonders wenn das Waſſer ſo ſtill und ſonnig iſt wie heute; das Blaſen iſt mir lieber wie Eſſen und Trinken.“ Er ſetzte an, und wendete ſich nach dem Thal, um das Echo hören zu laſſen; nun blies er das Lied des weiſſagenden Tempel- knaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner Eingebung; die feierliche Stille, die aus dieſen Tönen hervorbricht und ſich mitten im leeren Raum ausdehnt, beweiſt wohl, daß die Geiſter auch in der ſinnlichen Welt einen Platz einnehmen; zum wenigſten ward alles anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von der Melodie beherrſcht, und athmeten ihren weiſſagen- den Geiſt; — die Heerde hatte ſich zum Ruhen gelagert; der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir entfernt auf der Höhe ſtand, und die Begeiſtrung eines Virtuoſen empfand, der ſich ſelbſt überbietet, weil er er fühlt, er werde ganz genoſſen und verſtanden. Er ließ das Echo eine ſehr feine Rolle drin ſpielen; hier und da ließ er es in eine Lücke einſchmelzen; dann wie- 13**

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/329>, abgerufen am 24.11.2024.