nenhals, von dem die Dir gehorsamen Schreibefinger der Mutter mir melden, schwerlich mich zu so entschie- denen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und so hab' ich es denn Deinem Willen ganz angemessen gefunden, mich so dran zu erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüster- nen Auge, als daß ich ihn der Wahl preiß geben sollte. Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Son- nenlande, und ausgießen möcht' ich Dir gerne die gesammten Schätze des Orients, wenn es auch wäre, um zu sehen, wie Du ihrer nicht achtest, weil Du Dein Glück in anderem begründet fühlst.
Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter ha- ben mich hier bei einer Zeit aufgesucht, wo ich Dich gerne selbst auf- und angenommen hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; schon seit mehreren Postta- gen sah ich allemal den freundlichen Postknaben, der noch in den Schelmenjahren ist, mit spitzen Fingern Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da schickte ich denn eilig hinunter, sie zu holen und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von einem Posttag zum andern; nun war sie aber zweimal vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit ist
nenhals, von dem die Dir gehorſamen Schreibefinger der Mutter mir melden, ſchwerlich mich zu ſo entſchie- denen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und ſo hab' ich es denn Deinem Willen ganz angemeſſen gefunden, mich ſo dran zu erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüſter- nen Auge, als daß ich ihn der Wahl preiß geben ſollte. Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Son- nenlande, und ausgießen möcht' ich Dir gerne die geſammten Schätze des Orients, wenn es auch wäre, um zu ſehen, wie Du ihrer nicht achteſt, weil Du Dein Glück in anderem begründet fühlſt.
Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter ha- ben mich hier bei einer Zeit aufgeſucht, wo ich Dich gerne ſelbſt auf- und angenommen hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; ſchon ſeit mehreren Poſtta- gen ſah ich allemal den freundlichen Poſtknaben, der noch in den Schelmenjahren iſt, mit ſpitzen Fingern Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da ſchickte ich denn eilig hinunter, ſie zu holen und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von einem Poſttag zum andern; nun war ſie aber zweimal vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit iſt
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nenhals, von dem die Dir gehorſamen Schreibefinger
der Mutter mir melden, ſchwerlich mich zu ſo entſchie-
denen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben;
und ſo hab' ich es denn Deinem Willen ganz angemeſſen
gefunden, mich ſo dran zu erfreuen und zu belehren,
und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüſter-
nen Auge, als daß ich ihn der Wahl preiß geben ſollte.
Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Son-
nenlande, und ausgießen möcht' ich Dir gerne die
geſammten Schätze des Orients, wenn es auch wäre,
um zu ſehen, wie Du ihrer nicht achteſt, weil Du Dein
Glück in anderem begründet fühlſt.
Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter ha-
ben mich hier bei einer Zeit aufgeſucht, wo ich Dich
gerne ſelbſt auf- und angenommen hätte. Es war eine
Zeit der Ungeduld in mir; ſchon ſeit mehreren Poſtta-
gen ſah ich allemal den freundlichen Poſtknaben, der
noch in den Schelmenjahren iſt, mit ſpitzen Fingern
Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da
ſchickte ich denn eilig hinunter, ſie zu holen und fand
meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von
einem Poſttag zum andern; nun war ſie aber zweimal
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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