Seegel eines Schiff's, das fest vom Anker gehalten ist am fremden Boden, und doch so gern in's Vaterland zurück möchte.
Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt' Sie mich lieb.
Bettine Brentano.
Goethe's Mutter an Bettine.
Am 11. Mai 1807.
Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer so schönen Reise schreibst Du einen so kurzen Brief, und schreibst nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn ge- sehen hast; das hab' ich auch schon gewußt und er hat mir's gestern geschrieben. Was hab' ich von Deinem geankerten Schiff? da weiß ich so viel wie nichts. Schreib' doch was passirt ist. Denk' doch daß ich ihn acht Jahr nicht gesehen hab', und ihn vielleicht nie wie- der seh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willst, wer soll mir dann erzählen? -- hab' ich nicht Deine alberne Geschichten hundertmal angehört, die ich aus- wendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren hast, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die
Seegel eines Schiff's, das feſt vom Anker gehalten iſt am fremden Boden, und doch ſo gern in's Vaterland zurück möchte.
Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt' Sie mich lieb.
Bettine Brentano.
Goethe's Mutter an Bettine.
Am 11. Mai 1807.
Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer ſo ſchönen Reiſe ſchreibſt Du einen ſo kurzen Brief, und ſchreibſt nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn ge- ſehen haſt; das hab' ich auch ſchon gewußt und er hat mir's geſtern geſchrieben. Was hab' ich von Deinem geankerten Schiff? da weiß ich ſo viel wie nichts. Schreib' doch was paſſirt iſt. Denk' doch daß ich ihn acht Jahr nicht geſehen hab', und ihn vielleicht nie wie- der ſeh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willſt, wer ſoll mir dann erzählen? — hab' ich nicht Deine alberne Geſchichten hundertmal angehört, die ich aus- wendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren haſt, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die
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Seegel eines Schiff's, das feſt vom Anker gehalten iſt
am fremden Boden, und doch ſo gern in's Vaterland
zurück möchte.
Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt' Sie
mich lieb.
Bettine Brentano.
Goethe's Mutter an Bettine.
Am 11. Mai 1807.
Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer ſo
ſchönen Reiſe ſchreibſt Du einen ſo kurzen Brief, und
ſchreibſt nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn ge-
ſehen haſt; das hab' ich auch ſchon gewußt und er hat
mir's geſtern geſchrieben. Was hab' ich von Deinem
geankerten Schiff? da weiß ich ſo viel wie nichts.
Schreib' doch was paſſirt iſt. Denk' doch daß ich ihn
acht Jahr nicht geſehen hab', und ihn vielleicht nie wie-
der ſeh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willſt,
wer ſoll mir dann erzählen? — hab' ich nicht Deine
alberne Geſchichten hundertmal angehört, die ich aus-
wendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren
haſt, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/34>, abgerufen am 24.11.2024.
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