größte Freud' machen könntest, da schreibst Du nichts. Fehlt Dir denn was? -- es ist ja nicht über's Meer bis nach Weimar. Du hast ja jetzt selbst erfahren, daß man dort sein kann, bis die Sonne zweimal auf- geht. -- Bist Du traurig? -- Liebe, liebe Tochter, mein Sohn soll Dein Freund sein, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt, und Du sollst mich Mutter heißen in Zukunft für alle Täg, die mein spätes Alter noch zählt, es ist ja doch der einzige Name der mein Glück umfaßt.
Deine treue Freundin Elisabeth Goethe.
Vor die Tasse bedank' ich mich.
An Goethe's Mutter.
Am 16. Mai 1807.
Ich hab' gestern an Ihren Sohn geschrieben; ver- antwort' Sie es bei ihm. -- Ich will Ihr auch gern alles schreiben, aber ich hab' jetzt immer so viel zu den- ken, es ist mir fast eine Unmöglichkeit, mich loszureißen, ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie soll ich denn sagen wie es gewesen ist? -- Hab' Sie Nachsicht und
1*
größte Freud' machen könnteſt, da ſchreibſt Du nichts. Fehlt Dir denn was? — es iſt ja nicht über's Meer bis nach Weimar. Du haſt ja jetzt ſelbſt erfahren, daß man dort ſein kann, bis die Sonne zweimal auf- geht. — Biſt Du traurig? — Liebe, liebe Tochter, mein Sohn ſoll Dein Freund ſein, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt, und Du ſollſt mich Mutter heißen in Zukunft für alle Täg, die mein ſpätes Alter noch zählt, es iſt ja doch der einzige Name der mein Glück umfaßt.
Deine treue Freundin Eliſabeth Goethe.
Vor die Taſſe bedank' ich mich.
An Goethe's Mutter.
Am 16. Mai 1807.
Ich hab' geſtern an Ihren Sohn geſchrieben; ver- antwort' Sie es bei ihm. — Ich will Ihr auch gern alles ſchreiben, aber ich hab' jetzt immer ſo viel zu den- ken, es iſt mir faſt eine Unmöglichkeit, mich loszureißen, ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie ſoll ich denn ſagen wie es geweſen iſt? — Hab' Sie Nachſicht und
1*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0035"n="3"/>
größte Freud' machen könnteſt, da ſchreibſt Du nichts.<lb/>
Fehlt Dir denn was? — es iſt ja nicht über's Meer<lb/>
bis nach Weimar. Du haſt ja jetzt ſelbſt erfahren, daß<lb/>
man dort ſein kann, bis die Sonne zweimal auf-<lb/>
geht. — Biſt Du traurig? — Liebe, liebe Tochter,<lb/>
mein Sohn ſoll Dein Freund ſein, Dein Bruder, der<lb/>
Dich gewiß liebt, und Du ſollſt mich Mutter heißen<lb/>
in Zukunft für alle Täg, die mein ſpätes Alter noch<lb/>
zählt, es iſt ja doch der einzige Name der mein<lb/>
Glück umfaßt.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Deine treue Freundin<lb/>
Eliſabeth Goethe.</hi></salute></closer><lb/><postscript><p>Vor die Taſſe bedank' ich mich.</p></postscript></div><lb/><divn="2"><opener><salute>An Goethe's Mutter.</salute><lb/><dateline><hirendition="#et">Am 16. Mai 1807.</hi></dateline></opener><lb/><p>Ich hab' geſtern an Ihren Sohn geſchrieben; ver-<lb/>
antwort' Sie es bei ihm. — Ich will Ihr auch gern<lb/>
alles ſchreiben, aber ich hab' jetzt immer ſo viel zu den-<lb/>
ken, es iſt mir faſt eine Unmöglichkeit, mich loszureißen,<lb/>
ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie ſoll ich denn<lb/>ſagen wie es geweſen iſt? — Hab' Sie Nachſicht und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">1*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[3/0035]
größte Freud' machen könnteſt, da ſchreibſt Du nichts.
Fehlt Dir denn was? — es iſt ja nicht über's Meer
bis nach Weimar. Du haſt ja jetzt ſelbſt erfahren, daß
man dort ſein kann, bis die Sonne zweimal auf-
geht. — Biſt Du traurig? — Liebe, liebe Tochter,
mein Sohn ſoll Dein Freund ſein, Dein Bruder, der
Dich gewiß liebt, und Du ſollſt mich Mutter heißen
in Zukunft für alle Täg, die mein ſpätes Alter noch
zählt, es iſt ja doch der einzige Name der mein
Glück umfaßt.
Deine treue Freundin
Eliſabeth Goethe.
Vor die Taſſe bedank' ich mich.
An Goethe's Mutter.
Am 16. Mai 1807.
Ich hab' geſtern an Ihren Sohn geſchrieben; ver-
antwort' Sie es bei ihm. — Ich will Ihr auch gern
alles ſchreiben, aber ich hab' jetzt immer ſo viel zu den-
ken, es iſt mir faſt eine Unmöglichkeit, mich loszureißen,
ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie ſoll ich denn
ſagen wie es geweſen iſt? — Hab' Sie Nachſicht und
1*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/35>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.