still verhalten und die Feder laufen lassen. Die ganze Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir sagen soll; wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles sei von Gott so angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechsel zwischen uns führe. Aber Du hast mehr Zutrauen in die be- rühmte Frau, die das große Werk geschrieben hat sur les passions, von welchen ich nichts weiß. -- Ach glaub' nur, Du bist vor die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht klug.
Über Musik hatte ich Dir auch noch manches zu sagen; es war alles schon so hübsch angeordnet; erst mußt Du begreifen, was Du ihr alles schon zu verdan- ken hast. -- Du bist nicht feuerfest. Musik bringt Dich nicht in Gluth, weil Du einschmelzen könntest.
So närrisch bin ich nicht, zu glauben, daß Musik keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an das Firmament in deinem Geist, da Sonne und Mond sammt allen Sternen in Dir leuchten, da soll ich zweiflen, daß dieser höchste Planet über alle, der Licht ergießt, der ein Gewaltiger ist unserer Sinne, Dich nicht durch- ströme? Meinst Du dann, Du wärst der Du bist, wenn es nicht Musik wäre in Dir? -- Du solltest Dich vor dem Tod fürchten, da doch Musik ihn auflöst? Du
ſtill verhalten und die Feder laufen laſſen. Die ganze Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir ſagen ſoll; wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles ſei von Gott ſo angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechſel zwiſchen uns führe. Aber Du haſt mehr Zutrauen in die be- rühmte Frau, die das große Werk geſchrieben hat sur les passions, von welchen ich nichts weiß. — Ach glaub' nur, Du biſt vor die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht klug.
Über Muſik hatte ich Dir auch noch manches zu ſagen; es war alles ſchon ſo hübſch angeordnet; erſt mußt Du begreifen, was Du ihr alles ſchon zu verdan- ken haſt. — Du biſt nicht feuerfeſt. Muſik bringt Dich nicht in Gluth, weil Du einſchmelzen könnteſt.
So närriſch bin ich nicht, zu glauben, daß Muſik keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an das Firmament in deinem Geiſt, da Sonne und Mond ſammt allen Sternen in Dir leuchten, da ſoll ich zweiflen, daß dieſer höchſte Planet über alle, der Licht ergießt, der ein Gewaltiger iſt unſerer Sinne, Dich nicht durch- ſtröme? Meinſt Du dann, Du wärſt der Du biſt, wenn es nicht Muſik wäre in Dir? — Du ſollteſt Dich vor dem Tod fürchten, da doch Muſik ihn auflöſt? Du
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0352"n="320"/>ſtill verhalten und die Feder laufen laſſen. Die ganze<lb/>
Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir ſagen ſoll;<lb/>
wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles ſei von Gott ſo<lb/>
angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechſel zwiſchen<lb/>
uns führe. Aber Du haſt mehr Zutrauen in die be-<lb/>
rühmte Frau, die das große Werk geſchrieben hat <hirendition="#aq">sur<lb/>
les passions,</hi> von welchen <hirendition="#g">ich</hi> nichts weiß. — Ach glaub'<lb/>
nur, Du biſt vor die unrechte Schmiede gegangen;<lb/><hirendition="#g">Lieben</hi>: das allein macht klug.</p><lb/><p>Über Muſik hatte ich Dir auch noch manches zu<lb/>ſagen; es war alles ſchon ſo hübſch angeordnet; erſt<lb/>
mußt Du begreifen, was Du ihr alles ſchon zu verdan-<lb/>
ken haſt. — Du biſt nicht feuerfeſt. Muſik bringt Dich<lb/>
nicht in Gluth, weil Du einſchmelzen könnteſt.</p><lb/><p>So närriſch bin ich nicht, zu glauben, daß Muſik<lb/>
keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an<lb/>
das Firmament in deinem Geiſt, da Sonne und Mond<lb/>ſammt allen Sternen in Dir leuchten, da ſoll ich zweiflen,<lb/>
daß dieſer höchſte Planet über alle, der Licht ergießt,<lb/>
der ein Gewaltiger iſt unſerer Sinne, Dich nicht durch-<lb/>ſtröme? Meinſt Du dann, Du wärſt der Du biſt,<lb/>
wenn es nicht Muſik wäre in Dir? — Du ſollteſt Dich<lb/>
vor dem Tod fürchten, da doch Muſik ihn auflöſt? Du<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[320/0352]
ſtill verhalten und die Feder laufen laſſen. Die ganze
Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir ſagen ſoll;
wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles ſei von Gott ſo
angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechſel zwiſchen
uns führe. Aber Du haſt mehr Zutrauen in die be-
rühmte Frau, die das große Werk geſchrieben hat sur
les passions, von welchen ich nichts weiß. — Ach glaub'
nur, Du biſt vor die unrechte Schmiede gegangen;
Lieben: das allein macht klug.
Über Muſik hatte ich Dir auch noch manches zu
ſagen; es war alles ſchon ſo hübſch angeordnet; erſt
mußt Du begreifen, was Du ihr alles ſchon zu verdan-
ken haſt. — Du biſt nicht feuerfeſt. Muſik bringt Dich
nicht in Gluth, weil Du einſchmelzen könnteſt.
So närriſch bin ich nicht, zu glauben, daß Muſik
keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an
das Firmament in deinem Geiſt, da Sonne und Mond
ſammt allen Sternen in Dir leuchten, da ſoll ich zweiflen,
daß dieſer höchſte Planet über alle, der Licht ergießt,
der ein Gewaltiger iſt unſerer Sinne, Dich nicht durch-
ſtröme? Meinſt Du dann, Du wärſt der Du biſt,
wenn es nicht Muſik wäre in Dir? — Du ſollteſt Dich
vor dem Tod fürchten, da doch Muſik ihn auflöſt? Du
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/352>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.