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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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sie ein kleines schwarzes Böhnchen in die Erde, sie
schenkte mir's und sagte, ich solle es pflegen; ich werde
ein schönes Wunder dran erleben. Bald keimt' es und
zeigte Blätter wie der Klee; es zog sich an einem
Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen gerin-
gelten Haken; dann bracht' es sparsame gelbe Blüthen
hervor; aus denen wuchs so groß wie eine Haselnuß ein
grünes Eichen, das sich in Reifen bräunte. Die Nonne
brach es ab, und zog es am Stiel auseinander, in
eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwischen
denen der Saame von kleinen Bohnen gereift war.
Sie flocht daraus eine Krone, setzte sie ihrem elfenbei-
nernen Christus am Kruzifix zu Füßen, und sagte mir,
man nennt diese Pflanze Corona Christi.

Wir glauben an Gott, und an Christus, daß er
Gott war, der sich an's Kreuz schlagen ließ; wir singen
ihm Litaneien und schwenken ihm den Weihrauch; wir
versprechen, heilig zu werden, und beten, und empfin-
den's nicht. Wenn wir aber sehen, wie die Natur spielt,
und in diesem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich
ausdrückt; wenn sie auf Blumenblätter Seufzer malt,
ein O, und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf
ihren Flügeldecken gemalt haben und diese kleine Pflanze
eben, so unscheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte, künst-

ſie ein kleines ſchwarzes Böhnchen in die Erde, ſie
ſchenkte mir's und ſagte, ich ſolle es pflegen; ich werde
ein ſchönes Wunder dran erleben. Bald keimt' es und
zeigte Blätter wie der Klee; es zog ſich an einem
Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen gerin-
gelten Haken; dann bracht' es ſparſame gelbe Blüthen
hervor; aus denen wuchs ſo groß wie eine Haſelnuß ein
grünes Eichen, das ſich in Reifen bräunte. Die Nonne
brach es ab, und zog es am Stiel auseinander, in
eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwiſchen
denen der Saame von kleinen Bohnen gereift war.
Sie flocht daraus eine Krone, ſetzte ſie ihrem elfenbei-
nernen Chriſtus am Kruzifix zu Füßen, und ſagte mir,
man nennt dieſe Pflanze Corona Christi.

Wir glauben an Gott, und an Chriſtus, daß er
Gott war, der ſich an's Kreuz ſchlagen ließ; wir ſingen
ihm Litaneien und ſchwenken ihm den Weihrauch; wir
verſprechen, heilig zu werden, und beten, und empfin-
den's nicht. Wenn wir aber ſehen, wie die Natur ſpielt,
und in dieſem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich
ausdrückt; wenn ſie auf Blumenblätter Seufzer malt,
ein O, und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf
ihren Flügeldecken gemalt haben und dieſe kleine Pflanze
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[327/0359] ſie ein kleines ſchwarzes Böhnchen in die Erde, ſie ſchenkte mir's und ſagte, ich ſolle es pflegen; ich werde ein ſchönes Wunder dran erleben. Bald keimt' es und zeigte Blätter wie der Klee; es zog ſich an einem Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen gerin- gelten Haken; dann bracht' es ſparſame gelbe Blüthen hervor; aus denen wuchs ſo groß wie eine Haſelnuß ein grünes Eichen, das ſich in Reifen bräunte. Die Nonne brach es ab, und zog es am Stiel auseinander, in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwiſchen denen der Saame von kleinen Bohnen gereift war. Sie flocht daraus eine Krone, ſetzte ſie ihrem elfenbei- nernen Chriſtus am Kruzifix zu Füßen, und ſagte mir, man nennt dieſe Pflanze Corona Christi. Wir glauben an Gott, und an Chriſtus, daß er Gott war, der ſich an's Kreuz ſchlagen ließ; wir ſingen ihm Litaneien und ſchwenken ihm den Weihrauch; wir verſprechen, heilig zu werden, und beten, und empfin- den's nicht. Wenn wir aber ſehen, wie die Natur ſpielt, und in dieſem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn ſie auf Blumenblätter Seufzer malt, ein O, und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf ihren Flügeldecken gemalt haben und dieſe kleine Pflanze eben, ſo unſcheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte, künſt-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/359>, abgerufen am 24.11.2024.