Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Gelegenheit ergab in's Ohr zu sehen, da entdeckt' ich's
gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgestellt,
eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre
Reste hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus
wollte der Franz das versteinerte langweilige Leben
recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am
Tintefaß, das so pelzig war und so wenig Flüssiges
enthielt. Das ist aber nur die eine Hälfte dieses Lochs
der Einsamkeit. Man sollt's nicht meinen, aber geht
man langsam in die Runde, so kommt man an eine
Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge-
gangen war, entdeckte ich sie, ich ging hindurch, da be-
fand ich mich plötzlich auf dem steilen höchsten Rand
eines noch tieferen und weiteren Thalkessels, sein sammt-
ner Boden schmiegt sich sanft an die ebenmäßigen Berg-
wände die es rund umgeben und ganz besäet sind mit
Lämmer und Schafen; in der Mitte steht das Schäfer-
haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten
durchbraust, getrieben wird. Die Gebäude sind hinter
uralten himmelhohen Linden versteckt, die grade jetzt
blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und
zwischen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn-
steins sich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der
goldne Sonnenschein hatte das ganze Thal erfüllt.

Gelegenheit ergab in's Ohr zu ſehen, da entdeckt' ich's
gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgeſtellt,
eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre
Reſte hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus
wollte der Franz das verſteinerte langweilige Leben
recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am
Tintefaß, das ſo pelzig war und ſo wenig Flüſſiges
enthielt. Das iſt aber nur die eine Hälfte dieſes Lochs
der Einſamkeit. Man ſollt's nicht meinen, aber geht
man langſam in die Runde, ſo kommt man an eine
Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge-
gangen war, entdeckte ich ſie, ich ging hindurch, da be-
fand ich mich plötzlich auf dem ſteilen höchſten Rand
eines noch tieferen und weiteren Thalkeſſels, ſein ſammt-
ner Boden ſchmiegt ſich ſanft an die ebenmäßigen Berg-
wände die es rund umgeben und ganz beſäet ſind mit
Lämmer und Schafen; in der Mitte ſteht das Schäfer-
haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten
durchbrauſt, getrieben wird. Die Gebäude ſind hinter
uralten himmelhohen Linden verſteckt, die grade jetzt
blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und
zwiſchen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn-
ſteins ſich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der
goldne Sonnenſchein hatte das ganze Thal erfüllt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="37"/>
Gelegenheit ergab in's Ohr zu &#x017F;ehen, da entdeckt' ich's<lb/>
gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufge&#x017F;tellt,<lb/>
eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre<lb/>
Re&#x017F;te hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus<lb/>
wollte der Franz das ver&#x017F;teinerte langweilige Leben<lb/>
recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am<lb/>
Tintefaß, das &#x017F;o pelzig war und &#x017F;o wenig Flü&#x017F;&#x017F;iges<lb/>
enthielt. Das i&#x017F;t aber nur die eine Hälfte die&#x017F;es Lochs<lb/>
der Ein&#x017F;amkeit. Man &#x017F;ollt's nicht meinen, aber geht<lb/>
man lang&#x017F;am in die Runde, &#x017F;o kommt man an eine<lb/>
Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge-<lb/>
gangen war, entdeckte ich &#x017F;ie, ich ging hindurch, da be-<lb/>
fand ich mich plötzlich auf dem &#x017F;teilen höch&#x017F;ten Rand<lb/>
eines noch tieferen und weiteren Thalke&#x017F;&#x017F;els, &#x017F;ein &#x017F;ammt-<lb/>
ner Boden &#x017F;chmiegt &#x017F;ich &#x017F;anft an die ebenmäßigen Berg-<lb/>
wände die es rund umgeben und ganz be&#x017F;äet &#x017F;ind mit<lb/>
Lämmer und Schafen; in der Mitte &#x017F;teht das Schäfer-<lb/>
haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten<lb/>
durchbrau&#x017F;t, getrieben wird. Die Gebäude &#x017F;ind hinter<lb/>
uralten himmelhohen Linden ver&#x017F;teckt, die grade jetzt<lb/>
blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und<lb/>
zwi&#x017F;chen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn-<lb/>
&#x017F;teins &#x017F;ich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der<lb/>
goldne Sonnen&#x017F;chein hatte das ganze Thal erfüllt.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0069] Gelegenheit ergab in's Ohr zu ſehen, da entdeckt' ich's gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgeſtellt, eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre Reſte hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus wollte der Franz das verſteinerte langweilige Leben recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am Tintefaß, das ſo pelzig war und ſo wenig Flüſſiges enthielt. Das iſt aber nur die eine Hälfte dieſes Lochs der Einſamkeit. Man ſollt's nicht meinen, aber geht man langſam in die Runde, ſo kommt man an eine Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge- gangen war, entdeckte ich ſie, ich ging hindurch, da be- fand ich mich plötzlich auf dem ſteilen höchſten Rand eines noch tieferen und weiteren Thalkeſſels, ſein ſammt- ner Boden ſchmiegt ſich ſanft an die ebenmäßigen Berg- wände die es rund umgeben und ganz beſäet ſind mit Lämmer und Schafen; in der Mitte ſteht das Schäfer- haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten durchbrauſt, getrieben wird. Die Gebäude ſind hinter uralten himmelhohen Linden verſteckt, die grade jetzt blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und zwiſchen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn- ſteins ſich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der goldne Sonnenſchein hatte das ganze Thal erfüllt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/69
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/69>, abgerufen am 24.11.2024.