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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Ach lieber Gott, säß' ich hier und hütete die Schafe,
und wüßte daß am Abend einer käm der meiner einge-
denk ist, und ich wartete den ganzen Tag, und die
sonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die
Schattenstunden mit der silbernen Mondsichel und dem
Stern brächten den Freund, der fänd' mich an Berges-
rand ihm entgegenstürzend in die offne Arme, daß er
mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe,
was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß' Sie
Ihren Sohn und sag' Sie ihm, daß zwar mein Leben
friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet ist, daß ich
aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer
nach der Zukunft sehne wo ich den Freund erwarte.
Adieu leb' Sie wohl. Bei Ihr ist Mitternacht eine
Stunde der Geister, in der Sie es für eine Sünde hält
die Augen offen zu haben, damit Sie keine sieht; ich
aber ging eben noch allein in den Garten durch die
langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt
vom Mondlicht beschienen, und über die Mauer hab'
ich mich gelehnt und hab' hinausgesehen in den Rhein,
da war alles still. Aber weiße Schaumwellen zischten
und es patschte immer an's Ufer, und die Wellen lall-
ten wie Kinder. Wenn man so einsam Nachts in der
freien Natur steht, da ist's als ob sie ein Geist wär'

Ach lieber Gott, ſäß' ich hier und hütete die Schafe,
und wüßte daß am Abend einer käm der meiner einge-
denk iſt, und ich wartete den ganzen Tag, und die
ſonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die
Schattenſtunden mit der ſilbernen Mondſichel und dem
Stern brächten den Freund, der fänd' mich an Berges-
rand ihm entgegenſtürzend in die offne Arme, daß er
mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe,
was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß' Sie
Ihren Sohn und ſag' Sie ihm, daß zwar mein Leben
friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet iſt, daß ich
aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer
nach der Zukunft ſehne wo ich den Freund erwarte.
Adieu leb' Sie wohl. Bei Ihr iſt Mitternacht eine
Stunde der Geiſter, in der Sie es für eine Sünde hält
die Augen offen zu haben, damit Sie keine ſieht; ich
aber ging eben noch allein in den Garten durch die
langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt
vom Mondlicht beſchienen, und über die Mauer hab'
ich mich gelehnt und hab' hinausgeſehen in den Rhein,
da war alles ſtill. Aber weiße Schaumwellen ziſchten
und es patſchte immer an's Ufer, und die Wellen lall-
ten wie Kinder. Wenn man ſo einſam Nachts in der
freien Natur ſteht, da iſt's als ob ſie ein Geiſt wär'

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[38/0070] Ach lieber Gott, ſäß' ich hier und hütete die Schafe, und wüßte daß am Abend einer käm der meiner einge- denk iſt, und ich wartete den ganzen Tag, und die ſonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die Schattenſtunden mit der ſilbernen Mondſichel und dem Stern brächten den Freund, der fänd' mich an Berges- rand ihm entgegenſtürzend in die offne Arme, daß er mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe, was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß' Sie Ihren Sohn und ſag' Sie ihm, daß zwar mein Leben friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet iſt, daß ich aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer nach der Zukunft ſehne wo ich den Freund erwarte. Adieu leb' Sie wohl. Bei Ihr iſt Mitternacht eine Stunde der Geiſter, in der Sie es für eine Sünde hält die Augen offen zu haben, damit Sie keine ſieht; ich aber ging eben noch allein in den Garten durch die langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt vom Mondlicht beſchienen, und über die Mauer hab' ich mich gelehnt und hab' hinausgeſehen in den Rhein, da war alles ſtill. Aber weiße Schaumwellen ziſchten und es patſchte immer an's Ufer, und die Wellen lall- ten wie Kinder. Wenn man ſo einſam Nachts in der freien Natur ſteht, da iſt's als ob ſie ein Geiſt wär'

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/70>, abgerufen am 21.11.2024.