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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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bel-Thale da sieht man den Pfad kaum vor den Füßen
aber ich geh' mit, ich fühl, daß er da ist wenn er auch
vor meinen leiblichen Augen verschwindet, und wo ich
geh und steh, da spühr ich sein heimlich Wandeln um
mich, und in der Nacht ist er die Decke in die ich
mich einhülle, und am Morgen ist er es vor dem ich
mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin
ich allein, in meiner einsamen Stube fühl ich mich ver-
standen und erkannt von diesem Geist; ich kann nicht
mit lachen ich kann nicht mit Comoedie spielen, die Kunst
und die Wissenschaft die lasse ich fahren; noch vor einem
halben Jahr, da wollt' ich Geschichte studieren und Geo-
graphie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir
leben, erst recht erfüllt wär mit der Geschichte, so daß
einer alle Hände voll zu thun hätt', um nur der Ge-
schichte den Willen zu thun so hätt' er keine Zeit um
nach den vermoderten Königen zu fragen, so geht mir's,
ich hab' keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner
Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt,
so hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf
die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo
es mich hinzieht, das ist der rechte Weg alles andre sind
Irr- oder Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne,
Mond und Sterne gehören blos zur Aussicht meiner

bel-Thale da ſieht man den Pfad kaum vor den Füßen
aber ich geh' mit, ich fühl, daß er da iſt wenn er auch
vor meinen leiblichen Augen verſchwindet, und wo ich
geh und ſteh, da ſpühr ich ſein heimlich Wandeln um
mich, und in der Nacht iſt er die Decke in die ich
mich einhülle, und am Morgen iſt er es vor dem ich
mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin
ich allein, in meiner einſamen Stube fühl ich mich ver-
ſtanden und erkannt von dieſem Geiſt; ich kann nicht
mit lachen ich kann nicht mit Comoedie ſpielen, die Kunſt
und die Wiſſenſchaft die laſſe ich fahren; noch vor einem
halben Jahr, da wollt' ich Geſchichte ſtudieren und Geo-
graphie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir
leben, erſt recht erfüllt wär mit der Geſchichte, ſo daß
einer alle Hände voll zu thun hätt', um nur der Ge-
ſchichte den Willen zu thun ſo hätt' er keine Zeit um
nach den vermoderten Königen zu fragen, ſo geht mir's,
ich hab' keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner
Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt,
ſo hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf
die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo
es mich hinzieht, das iſt der rechte Weg alles andre ſind
Irr- oder Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne,
Mond und Sterne gehören blos zur Ausſicht meiner

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[44/0076] bel-Thale da ſieht man den Pfad kaum vor den Füßen aber ich geh' mit, ich fühl, daß er da iſt wenn er auch vor meinen leiblichen Augen verſchwindet, und wo ich geh und ſteh, da ſpühr ich ſein heimlich Wandeln um mich, und in der Nacht iſt er die Decke in die ich mich einhülle, und am Morgen iſt er es vor dem ich mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin ich allein, in meiner einſamen Stube fühl ich mich ver- ſtanden und erkannt von dieſem Geiſt; ich kann nicht mit lachen ich kann nicht mit Comoedie ſpielen, die Kunſt und die Wiſſenſchaft die laſſe ich fahren; noch vor einem halben Jahr, da wollt' ich Geſchichte ſtudieren und Geo- graphie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir leben, erſt recht erfüllt wär mit der Geſchichte, ſo daß einer alle Hände voll zu thun hätt', um nur der Ge- ſchichte den Willen zu thun ſo hätt' er keine Zeit um nach den vermoderten Königen zu fragen, ſo geht mir's, ich hab' keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt, ſo hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo es mich hinzieht, das iſt der rechte Weg alles andre ſind Irr- oder Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne, Mond und Sterne gehören blos zur Ausſicht meiner

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/76>, abgerufen am 21.11.2024.