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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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mein ich, daß ich auch nicht alle Tag' an ihn schreiben
darf, aber er hat mir gesagt schreib alle Tag', und
wenn's Folianten wären, es ist mir nicht zu viel, aber
ich selbst bin nicht alle Tag' in der Stimmung, manch-
mal denke ich so geschwind, daß ich's gar nicht schreiben
kann, und die Gedanken sind so süß, daß ich gar nicht
abbrechen kann um zu schreiben, noch dazu mag ich
gern grade Linien und schöne Buchstaben machen und
das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu
sagen was schwer auszusprechen ist, und manches hab'
ich ihm mitzutheilen was nie ausgesprochen werden kann;
da sitz' ich oft Stunden und seh in mich hinein und
kann's nicht sagen was ich seh, aber weil ich im Geist
mich mit ihm zusammen fühl', so bleib ich gern dabei,
und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad'
nur die Zeit angiebt, so lang' die Sonne sie bescheint.
Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann
wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen;
es sollte einer sagen ich leb', wenn er mich nicht mehr
lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat kei-
ner Verstand, an der Hand führt mich der Geist ein-
same Straßen, er setzt sich mit mir nieder am Wassers-
rand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf
hohe Berge; da ist es Nacht da schauen wir in die Ne-

mein ich, daß ich auch nicht alle Tag' an ihn ſchreiben
darf, aber er hat mir geſagt ſchreib alle Tag', und
wenn's Folianten wären, es iſt mir nicht zu viel, aber
ich ſelbſt bin nicht alle Tag' in der Stimmung, manch-
mal denke ich ſo geſchwind, daß ich's gar nicht ſchreiben
kann, und die Gedanken ſind ſo ſüß, daß ich gar nicht
abbrechen kann um zu ſchreiben, noch dazu mag ich
gern grade Linien und ſchöne Buchſtaben machen und
das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu
ſagen was ſchwer auszuſprechen iſt, und manches hab'
ich ihm mitzutheilen was nie ausgeſprochen werden kann;
da ſitz' ich oft Stunden und ſeh in mich hinein und
kann's nicht ſagen was ich ſeh, aber weil ich im Geiſt
mich mit ihm zuſammen fühl', ſo bleib ich gern dabei,
und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad'
nur die Zeit angiebt, ſo lang' die Sonne ſie beſcheint.
Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann
wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen;
es ſollte einer ſagen ich leb', wenn er mich nicht mehr
lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat kei-
ner Verſtand, an der Hand führt mich der Geiſt ein-
ſame Straßen, er ſetzt ſich mit mir nieder am Waſſers-
rand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf
hohe Berge; da iſt es Nacht da ſchauen wir in die Ne-

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[43/0075] mein ich, daß ich auch nicht alle Tag' an ihn ſchreiben darf, aber er hat mir geſagt ſchreib alle Tag', und wenn's Folianten wären, es iſt mir nicht zu viel, aber ich ſelbſt bin nicht alle Tag' in der Stimmung, manch- mal denke ich ſo geſchwind, daß ich's gar nicht ſchreiben kann, und die Gedanken ſind ſo ſüß, daß ich gar nicht abbrechen kann um zu ſchreiben, noch dazu mag ich gern grade Linien und ſchöne Buchſtaben machen und das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu ſagen was ſchwer auszuſprechen iſt, und manches hab' ich ihm mitzutheilen was nie ausgeſprochen werden kann; da ſitz' ich oft Stunden und ſeh in mich hinein und kann's nicht ſagen was ich ſeh, aber weil ich im Geiſt mich mit ihm zuſammen fühl', ſo bleib ich gern dabei, und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad' nur die Zeit angiebt, ſo lang' die Sonne ſie beſcheint. Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen; es ſollte einer ſagen ich leb', wenn er mich nicht mehr lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat kei- ner Verſtand, an der Hand führt mich der Geiſt ein- ſame Straßen, er ſetzt ſich mit mir nieder am Waſſers- rand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf hohe Berge; da iſt es Nacht da ſchauen wir in die Ne-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/75>, abgerufen am 21.11.2024.