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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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da malten sich die bunten Fensterscheiben durch die Sonne
auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bau-
werk herum, und wiegte mich in den gesprengten Bögen.

Fr. Rath, das wär' Ihr recht gefährlich vorgekom-
men, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer solchen
gothischen Rose hätte sitzen sehen; es war auch gar kein
Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten,
aber ich dachte: sollte der stärker sein wollen wie ich?
-- und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die
Dämmerung eintrat da sah ich in Deutz eine Kirche mit
bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das
Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne
Sterne. Da war ich so allein, rund um mich zwit-
scherte es in den Schwalbennestern, deren wohl tau-
sende in den Gesimsen sind, auf dem Wasser sah ich
einzelne Seegel sich blähen. Die andern hatten unter-
dessen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente
und Merkwürdigkeiten sich zeigen lassen. Ich hatte da-
für einen stillen Augenblick, in dem meine Seele ge-
sammelt war, und die Natur, auch alles was Menschen-
hände gemacht haben und mich mit, in die feierliche
Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels ein-
schmolz. -- Versteh' Sie das, oder versteh' Sie es nicht,
es ist mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinen

I. 3

da malten ſich die bunten Fenſterſcheiben durch die Sonne
auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bau-
werk herum, und wiegte mich in den geſprengten Bögen.

Fr. Rath, das wär' Ihr recht gefährlich vorgekom-
men, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer ſolchen
gothiſchen Roſe hätte ſitzen ſehen; es war auch gar kein
Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten,
aber ich dachte: ſollte der ſtärker ſein wollen wie ich?
— und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die
Dämmerung eintrat da ſah ich in Deutz eine Kirche mit
bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das
Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne
Sterne. Da war ich ſo allein, rund um mich zwit-
ſcherte es in den Schwalbenneſtern, deren wohl tau-
ſende in den Geſimſen ſind, auf dem Waſſer ſah ich
einzelne Seegel ſich blähen. Die andern hatten unter-
deſſen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente
und Merkwürdigkeiten ſich zeigen laſſen. Ich hatte da-
für einen ſtillen Augenblick, in dem meine Seele ge-
ſammelt war, und die Natur, auch alles was Menſchen-
hände gemacht haben und mich mit, in die feierliche
Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels ein-
ſchmolz. — Verſteh' Sie das, oder verſteh' Sie es nicht,
es iſt mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinen

I. 3
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[49/0081] da malten ſich die bunten Fenſterſcheiben durch die Sonne auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bau- werk herum, und wiegte mich in den geſprengten Bögen. Fr. Rath, das wär' Ihr recht gefährlich vorgekom- men, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer ſolchen gothiſchen Roſe hätte ſitzen ſehen; es war auch gar kein Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten, aber ich dachte: ſollte der ſtärker ſein wollen wie ich? — und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die Dämmerung eintrat da ſah ich in Deutz eine Kirche mit bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne Sterne. Da war ich ſo allein, rund um mich zwit- ſcherte es in den Schwalbenneſtern, deren wohl tau- ſende in den Geſimſen ſind, auf dem Waſſer ſah ich einzelne Seegel ſich blähen. Die andern hatten unter- deſſen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente und Merkwürdigkeiten ſich zeigen laſſen. Ich hatte da- für einen ſtillen Augenblick, in dem meine Seele ge- ſammelt war, und die Natur, auch alles was Menſchen- hände gemacht haben und mich mit, in die feierliche Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels ein- ſchmolz. — Verſteh' Sie das, oder verſteh' Sie es nicht, es iſt mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinen I. 3

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/81>, abgerufen am 21.11.2024.