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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Ich hab' seit dem 13. August nichts von ihm, und jetzt
haben wir schon Ausgang September. Die Stael mag
ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich
gedacht. Eine berühmte Frau ist was kurioses, keine
andre kann sich mit ihr messen, sie ist wie Branntwein,
mit dem kann sich das Korn auch nicht vergleichen, aus
dem er gemacht ist. So Branntwein bitzelt auf der
Zung', und steigt in den Kopf, das thut eine berühmte
Frau auch; aber der reine Waizen ist mir doch lieber,
den säet der Säemann in die gelockerte Erd', die liebe
Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wie-
der heraus, und dann übergrünt er die Felder, und
trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein lustig'
Erndtefest; ich will doch lieber ein einfaches Waizen-
korn sein als eine berühmte Frau, und will auch lieber,
daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm
wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. -- Jetzt will
ich Ihr nur sagen, daß ich gestern mit der Stael zu
Nacht gegessen hab' in Mainz; keine Frau wollt neben
ihr sitzen bei Tisch', da hab' ich mich neben sie gesetzt;
es war unbequem genug, die Herren standen um den
Tisch und hatten sich alle hinter uns gepflanzt, und
einer drückte auf den andern, um mit ihr zu sprechen,
und ihr in's Gesicht zu sehen; sie bogen sich weit über

Ich hab' ſeit dem 13. Auguſt nichts von ihm, und jetzt
haben wir ſchon Ausgang September. Die Staël mag
ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich
gedacht. Eine berühmte Frau iſt was kurioſes, keine
andre kann ſich mit ihr meſſen, ſie iſt wie Branntwein,
mit dem kann ſich das Korn auch nicht vergleichen, aus
dem er gemacht iſt. So Branntwein bitzelt auf der
Zung', und ſteigt in den Kopf, das thut eine berühmte
Frau auch; aber der reine Waizen iſt mir doch lieber,
den ſäet der Säemann in die gelockerte Erd', die liebe
Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wie-
der heraus, und dann übergrünt er die Felder, und
trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein luſtig'
Erndtefeſt; ich will doch lieber ein einfaches Waizen-
korn ſein als eine berühmte Frau, und will auch lieber,
daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm
wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. — Jetzt will
ich Ihr nur ſagen, daß ich geſtern mit der Staël zu
Nacht gegeſſen hab' in Mainz; keine Frau wollt neben
ihr ſitzen bei Tiſch', da hab' ich mich neben ſie geſetzt;
es war unbequem genug, die Herren ſtanden um den
Tiſch und hatten ſich alle hinter uns gepflanzt, und
einer drückte auf den andern, um mit ihr zu ſprechen,
und ihr in's Geſicht zu ſehen; ſie bogen ſich weit über

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[55/0087] Ich hab' ſeit dem 13. Auguſt nichts von ihm, und jetzt haben wir ſchon Ausgang September. Die Staël mag ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich gedacht. Eine berühmte Frau iſt was kurioſes, keine andre kann ſich mit ihr meſſen, ſie iſt wie Branntwein, mit dem kann ſich das Korn auch nicht vergleichen, aus dem er gemacht iſt. So Branntwein bitzelt auf der Zung', und ſteigt in den Kopf, das thut eine berühmte Frau auch; aber der reine Waizen iſt mir doch lieber, den ſäet der Säemann in die gelockerte Erd', die liebe Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wie- der heraus, und dann übergrünt er die Felder, und trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein luſtig' Erndtefeſt; ich will doch lieber ein einfaches Waizen- korn ſein als eine berühmte Frau, und will auch lieber, daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. — Jetzt will ich Ihr nur ſagen, daß ich geſtern mit der Staël zu Nacht gegeſſen hab' in Mainz; keine Frau wollt neben ihr ſitzen bei Tiſch', da hab' ich mich neben ſie geſetzt; es war unbequem genug, die Herren ſtanden um den Tiſch und hatten ſich alle hinter uns gepflanzt, und einer drückte auf den andern, um mit ihr zu ſprechen, und ihr in's Geſicht zu ſehen; ſie bogen ſich weit über

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/87>, abgerufen am 21.11.2024.