allseitiger Harmonie. Dies Streben mitzuwirken, ist grade wie in meinen Kinderjahren, wenn ich die Sym- phonieen hörte im Nachbarsgarten, und ich fühlte, man müsse mit einstimmen, mitspielen, um Ruhe zu finden; und alles zerschmetternde in jenen Heldenereignissen ist ja auch wieder so belebend, so begeistigend, wie dies Streiten und Gebahren der verschiedenen Modulationen, die doch alle in ihren eigensinnigen Richtungen unwill- kührlich durch ein Gesammtgefühl getragen, immer all- seitiger, immer in sich concentrirter in ihrer Vollendung sich abschließen. -- So empfinde ich die Symphonie, so erscheinen mir jene Heldenschlachten auch Symphonieen des göttlichen Geistes, der in dem Busen des Menschen Ton geworden ist himmlischer Freiheit. Das freudige Sterben dieser Helden ist wie das ewige Opfern der Töne einem hohen gemeinsamen Zweck, der mit göttlichen Kräf- ten sich selbst erstreitet; so scheint mir auch jede große Handlung ein musikalisches Dasein; so mag wohl die mu- sikalische Tendenz des Menschengeschlechts als Orchester sich versammeln und solche Schlachtsymphonieen schla- gen, wo denn die die genießende, mitempfindende Welt neu geschaffen, von Kleinlichkeit befreit, eine höhere Be- fähigung in sich gewahrt.
Ich werde müde vom Denken und schläfrig, wenn
allſeitiger Harmonie. Dies Streben mitzuwirken, iſt grade wie in meinen Kinderjahren, wenn ich die Sym- phonieen hörte im Nachbarsgarten, und ich fühlte, man müſſe mit einſtimmen, mitſpielen, um Ruhe zu finden; und alles zerſchmetternde in jenen Heldenereigniſſen iſt ja auch wieder ſo belebend, ſo begeiſtigend, wie dies Streiten und Gebahren der verſchiedenen Modulationen, die doch alle in ihren eigenſinnigen Richtungen unwill- kührlich durch ein Geſammtgefühl getragen, immer all- ſeitiger, immer in ſich concentrirter in ihrer Vollendung ſich abſchließen. — So empfinde ich die Symphonie, ſo erſcheinen mir jene Heldenſchlachten auch Symphonieen des göttlichen Geiſtes, der in dem Buſen des Menſchen Ton geworden iſt himmliſcher Freiheit. Das freudige Sterben dieſer Helden iſt wie das ewige Opfern der Töne einem hohen gemeinſamen Zweck, der mit göttlichen Kräf- ten ſich ſelbſt erſtreitet; ſo ſcheint mir auch jede große Handlung ein muſikaliſches Daſein; ſo mag wohl die mu- ſikaliſche Tendenz des Menſchengeſchlechts als Orcheſter ſich verſammeln und ſolche Schlachtſymphonieen ſchla- gen, wo denn die die genießende, mitempfindende Welt neu geſchaffen, von Kleinlichkeit befreit, eine höhere Be- fähigung in ſich gewahrt.
Ich werde müde vom Denken und ſchläfrig, wenn
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allſeitiger Harmonie. Dies Streben mitzuwirken, iſt
grade wie in meinen Kinderjahren, wenn ich die Sym-
phonieen hörte im Nachbarsgarten, und ich fühlte, man
müſſe mit einſtimmen, mitſpielen, um Ruhe zu finden;
und alles zerſchmetternde in jenen Heldenereigniſſen iſt
ja auch wieder ſo belebend, ſo begeiſtigend, wie dies
Streiten und Gebahren der verſchiedenen Modulationen,
die doch alle in ihren eigenſinnigen Richtungen unwill-
kührlich durch ein Geſammtgefühl getragen, immer all-
ſeitiger, immer in ſich concentrirter in ihrer Vollendung
ſich abſchließen. — So empfinde ich die Symphonie, ſo
erſcheinen mir jene Heldenſchlachten auch Symphonieen
des göttlichen Geiſtes, der in dem Buſen des Menſchen
Ton geworden iſt himmliſcher Freiheit. Das freudige
Sterben dieſer Helden iſt wie das ewige Opfern der Töne
einem hohen gemeinſamen Zweck, der mit göttlichen Kräf-
ten ſich ſelbſt erſtreitet; ſo ſcheint mir auch jede große
Handlung ein muſikaliſches Daſein; ſo mag wohl die mu-
ſikaliſche Tendenz des Menſchengeſchlechts als Orcheſter
ſich verſammeln und ſolche Schlachtſymphonieen ſchla-
gen, wo denn die die genießende, mitempfindende Welt
neu geſchaffen, von Kleinlichkeit befreit, eine höhere Be-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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