kann froh sein, wenn die Kraft ausreicht, welche der Geist dieser Musik fordert. Von höherer Macht fühlt man sich als Organ benützt, Figur und Ton von Har- monie umkreißt und bedingt auszusprechen. So ist diese kunstgerechte, gewaltige Sprache idealischer Em- pfindung, daß der Sänger nur Werkzeug, aber mit- denkend, mitgenießend sich empfindet, und dann die Recitative, das Ideal ästhetischer Erhabenheit, wo Alles, sei es Schmerz oder Freude, ein tobend Element der Wollust wird.
Wie lange haben wir nichts über Musik gespro- chen, damals am Rhein, da war's als müsse ich Dir den gordischen Knoten auflösen, und doch fühlte ich meine Unzulänglichkeit, ich wußt nichts von ihr, wie man auch vom Geliebten nichts weiß, als nur daß man in ihn verliebt ist. Und jetzt bin ich erst gar in's Stok- ken gerathen, alles möcht ich gern aussprechen, aber in Worten zu denken was ich im Gefühl denke, das ist schwer; -- ja, solltest Du's glauben? -- Gedanken ma- chen mir Schmerzen, und so zaghaft bin ich, daß ich ihnen ausweiche, und alles was in der Welt vorgeht, das Geschick der Menschen und die tragische Auflösung macht mir einen musikalischen Eindruck. Die Ereignisse im Tyrol nehmen mich in sich auf wie der volle Strom
5*
kann froh ſein, wenn die Kraft ausreicht, welche der Geiſt dieſer Muſik fordert. Von höherer Macht fühlt man ſich als Organ benützt, Figur und Ton von Har- monie umkreißt und bedingt auszuſprechen. So iſt dieſe kunſtgerechte, gewaltige Sprache idealiſcher Em- pfindung, daß der Sänger nur Werkzeug, aber mit- denkend, mitgenießend ſich empfindet, und dann die Recitative, das Ideal äſthetiſcher Erhabenheit, wo Alles, ſei es Schmerz oder Freude, ein tobend Element der Wolluſt wird.
Wie lange haben wir nichts über Muſik geſpro- chen, damals am Rhein, da war's als müſſe ich Dir den gordiſchen Knoten auflöſen, und doch fühlte ich meine Unzulänglichkeit, ich wußt nichts von ihr, wie man auch vom Geliebten nichts weiß, als nur daß man in ihn verliebt iſt. Und jetzt bin ich erſt gar in's Stok- ken gerathen, alles möcht ich gern ausſprechen, aber in Worten zu denken was ich im Gefühl denke, das iſt ſchwer; — ja, ſollteſt Du's glauben? — Gedanken ma- chen mir Schmerzen, und ſo zaghaft bin ich, daß ich ihnen ausweiche, und alles was in der Welt vorgeht, das Geſchick der Menſchen und die tragiſche Auflöſung macht mir einen muſikaliſchen Eindruck. Die Ereigniſſe im Tyrol nehmen mich in ſich auf wie der volle Strom
5*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0111"n="101"/>
kann froh ſein, wenn die Kraft ausreicht, welche der<lb/>
Geiſt dieſer Muſik fordert. Von höherer Macht fühlt<lb/>
man ſich als Organ benützt, Figur und Ton von Har-<lb/>
monie umkreißt und bedingt auszuſprechen. So iſt<lb/>
dieſe kunſtgerechte, gewaltige Sprache idealiſcher Em-<lb/>
pfindung, daß der Sänger nur Werkzeug, aber mit-<lb/>
denkend, mitgenießend ſich empfindet, und dann die<lb/>
Recitative, das Ideal äſthetiſcher Erhabenheit, wo Alles,<lb/>ſei es Schmerz oder Freude, ein tobend Element der<lb/>
Wolluſt wird.</p><lb/><p>Wie lange haben wir nichts über Muſik geſpro-<lb/>
chen, damals am Rhein, da war's als müſſe ich Dir<lb/>
den gordiſchen Knoten auflöſen, und doch fühlte ich<lb/>
meine Unzulänglichkeit, ich wußt nichts von ihr, wie<lb/>
man auch vom Geliebten nichts weiß, als nur daß man<lb/>
in ihn verliebt iſt. Und jetzt bin ich erſt gar in's Stok-<lb/>
ken gerathen, alles möcht ich gern ausſprechen, aber in<lb/>
Worten zu denken was ich im Gefühl denke, das iſt<lb/>ſchwer; — ja, ſollteſt Du's glauben? — Gedanken ma-<lb/>
chen mir Schmerzen, und ſo zaghaft bin ich, daß ich<lb/>
ihnen ausweiche, und alles was in der Welt vorgeht,<lb/>
das Geſchick der Menſchen und die tragiſche Auflöſung<lb/>
macht mir einen muſikaliſchen Eindruck. Die Ereigniſſe<lb/>
im Tyrol nehmen mich in ſich auf wie der volle Strom<lb/><fwplace="bottom"type="sig">5*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0111]
kann froh ſein, wenn die Kraft ausreicht, welche der
Geiſt dieſer Muſik fordert. Von höherer Macht fühlt
man ſich als Organ benützt, Figur und Ton von Har-
monie umkreißt und bedingt auszuſprechen. So iſt
dieſe kunſtgerechte, gewaltige Sprache idealiſcher Em-
pfindung, daß der Sänger nur Werkzeug, aber mit-
denkend, mitgenießend ſich empfindet, und dann die
Recitative, das Ideal äſthetiſcher Erhabenheit, wo Alles,
ſei es Schmerz oder Freude, ein tobend Element der
Wolluſt wird.
Wie lange haben wir nichts über Muſik geſpro-
chen, damals am Rhein, da war's als müſſe ich Dir
den gordiſchen Knoten auflöſen, und doch fühlte ich
meine Unzulänglichkeit, ich wußt nichts von ihr, wie
man auch vom Geliebten nichts weiß, als nur daß man
in ihn verliebt iſt. Und jetzt bin ich erſt gar in's Stok-
ken gerathen, alles möcht ich gern ausſprechen, aber in
Worten zu denken was ich im Gefühl denke, das iſt
ſchwer; — ja, ſollteſt Du's glauben? — Gedanken ma-
chen mir Schmerzen, und ſo zaghaft bin ich, daß ich
ihnen ausweiche, und alles was in der Welt vorgeht,
das Geſchick der Menſchen und die tragiſche Auflöſung
macht mir einen muſikaliſchen Eindruck. Die Ereigniſſe
im Tyrol nehmen mich in ſich auf wie der volle Strom
5*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/111>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.