ten heißen, und von Dir in Gestalt eines Romans aus- gehen. Ich habe einmal einen fünf Stunden langen, saueren Weg nach einem Sauerbrunnen gemacht, er lag so einsam zwischen Felsen, der Mittag konnte nicht zu ihm niedersteigen, die Sonne zerbrach tausendfach ihre Strahlenkrone an dem Gestein, alte dürre Eichen und Ulmen standen wie die Todeshelden drum her, und Ab- gründe, die man da sah, waren keine Abgründe der Weisheit, sondern dunkle, schwarze Nacht, mir wollt's es nicht behagen, daß die himmlische Natur solche Lau- nen habe, der Athem wurde mir schwer und ich hatte das Gesicht in's Gras gewühlt. Wenn ich aber diese Wahlverwandtschaften dort an der Quelle wüßte, gern wollt ich den schauerlichen, unheimlichen Weg noch ein- mal machen, und zwar mit leichtem Schritt und leich- tem Sinn, denn erstens dem Geliebten entgegengehen, beflügelt den Schritt, und zweitens mit dem Geliebten heimgehen, ist der Inbegriff aller Seligkeit.
9. September 1809.
Bettine.
5**
ten heißen, und von Dir in Geſtalt eines Romans aus- gehen. Ich habe einmal einen fünf Stunden langen, ſaueren Weg nach einem Sauerbrunnen gemacht, er lag ſo einſam zwiſchen Felſen, der Mittag konnte nicht zu ihm niederſteigen, die Sonne zerbrach tauſendfach ihre Strahlenkrone an dem Geſtein, alte dürre Eichen und Ulmen ſtanden wie die Todeshelden drum her, und Ab- gründe, die man da ſah, waren keine Abgründe der Weisheit, ſondern dunkle, ſchwarze Nacht, mir wollt's es nicht behagen, daß die himmliſche Natur ſolche Lau- nen habe, der Athem wurde mir ſchwer und ich hatte das Geſicht in's Gras gewühlt. Wenn ich aber dieſe Wahlverwandtſchaften dort an der Quelle wüßte, gern wollt ich den ſchauerlichen, unheimlichen Weg noch ein- mal machen, und zwar mit leichtem Schritt und leich- tem Sinn, denn erſtens dem Geliebten entgegengehen, beflügelt den Schritt, und zweitens mit dem Geliebten heimgehen, iſt der Inbegriff aller Seligkeit.
9. September 1809.
Bettine.
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ten heißen, und von Dir in Geſtalt eines Romans aus-
gehen. Ich habe einmal einen fünf Stunden langen,
ſaueren Weg nach einem Sauerbrunnen gemacht, er lag
ſo einſam zwiſchen Felſen, der Mittag konnte nicht zu
ihm niederſteigen, die Sonne zerbrach tauſendfach ihre
Strahlenkrone an dem Geſtein, alte dürre Eichen und
Ulmen ſtanden wie die Todeshelden drum her, und Ab-
gründe, die man da ſah, waren keine Abgründe der
Weisheit, ſondern dunkle, ſchwarze Nacht, mir wollt's
es nicht behagen, daß die himmliſche Natur ſolche Lau-
nen habe, der Athem wurde mir ſchwer und ich hatte
das Geſicht in's Gras gewühlt. Wenn ich aber dieſe
Wahlverwandtſchaften dort an der Quelle wüßte, gern
wollt ich den ſchauerlichen, unheimlichen Weg noch ein-
mal machen, und zwar mit leichtem Schritt und leich-
tem Sinn, denn erſtens dem Geliebten entgegengehen,
beflügelt den Schritt, und zweitens mit dem Geliebten
heimgehen, iſt der Inbegriff aller Seligkeit.
9. September 1809.
Bettine.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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