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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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als zu seinem Genius, wenn der ihm einen Apfel schenkt
so fragt er jene erst ob der Wurm nicht drinn ist.

Es braucht keinen großen Witz und ich fühle es in
mir selber gegründet, im Geist liegt der unauslöschliche
Trieb das überirdische zu denken, so wie das Ziel einer
Reise hat er den höchsten Gedanken als Ziel; er schrei-
tet forschend durch die irdische Welt der himmlischen zu,
alles was dieser entspricht das reißt der Geist an sich
und genießt es mit Entzücken, drum glaub ich auch
daß die Liebe der Flug zum Himmel ist.

Ich wünsch' es Dir Goethe, und ich glaub' es auch
fest, daß all' dein Forschen, deine Erkenntniß, und das
was die Muse Dir lehrt und endlich auch deine Liebe
vereint deinem Geist einen verklärten Leib bilden, und
daß der dem irdischen Leib nicht mehr unterworfen sein
werde wenn er ihn ablegt, sondern schon ihn jenen gei-
stigen Leib übergeströmt. Sterben muß Du nicht, ster-
ben muß nur der dessen Geist den Ausweg nicht findet.
Denken beflügelt den Geist, der beflügelte Geist stirbt
nicht, er findet nicht zurück in den Tod. --

Mit der Mutter konnte ich über alles sprechen, sie
begriff meine Denkweise, sie sagte: erkenne erst alle
Sterne und das letzte, dann erst kannst Du zweifeln,
bis dahin ist alles möglich.

als zu ſeinem Genius, wenn der ihm einen Apfel ſchenkt
ſo fragt er jene erſt ob der Wurm nicht drinn iſt.

Es braucht keinen großen Witz und ich fühle es in
mir ſelber gegründet, im Geiſt liegt der unauslöſchliche
Trieb das überirdiſche zu denken, ſo wie das Ziel einer
Reiſe hat er den höchſten Gedanken als Ziel; er ſchrei-
tet forſchend durch die irdiſche Welt der himmliſchen zu,
alles was dieſer entſpricht das reißt der Geiſt an ſich
und genießt es mit Entzücken, drum glaub ich auch
daß die Liebe der Flug zum Himmel iſt.

Ich wünſch' es Dir Goethe, und ich glaub' es auch
feſt, daß all' dein Forſchen, deine Erkenntniß, und das
was die Muſe Dir lehrt und endlich auch deine Liebe
vereint deinem Geiſt einen verklärten Leib bilden, und
daß der dem irdiſchen Leib nicht mehr unterworfen ſein
werde wenn er ihn ablegt, ſondern ſchon ihn jenen gei-
ſtigen Leib übergeſtrömt. Sterben muß Du nicht, ſter-
ben muß nur der deſſen Geiſt den Ausweg nicht findet.
Denken beflügelt den Geiſt, der beflügelte Geiſt ſtirbt
nicht, er findet nicht zurück in den Tod. —

Mit der Mutter konnte ich über alles ſprechen, ſie
begriff meine Denkweiſe, ſie ſagte: erkenne erſt alle
Sterne und das letzte, dann erſt kannſt Du zweifeln,
bis dahin iſt alles möglich.

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[4/0014] als zu ſeinem Genius, wenn der ihm einen Apfel ſchenkt ſo fragt er jene erſt ob der Wurm nicht drinn iſt. Es braucht keinen großen Witz und ich fühle es in mir ſelber gegründet, im Geiſt liegt der unauslöſchliche Trieb das überirdiſche zu denken, ſo wie das Ziel einer Reiſe hat er den höchſten Gedanken als Ziel; er ſchrei- tet forſchend durch die irdiſche Welt der himmliſchen zu, alles was dieſer entſpricht das reißt der Geiſt an ſich und genießt es mit Entzücken, drum glaub ich auch daß die Liebe der Flug zum Himmel iſt. Ich wünſch' es Dir Goethe, und ich glaub' es auch feſt, daß all' dein Forſchen, deine Erkenntniß, und das was die Muſe Dir lehrt und endlich auch deine Liebe vereint deinem Geiſt einen verklärten Leib bilden, und daß der dem irdiſchen Leib nicht mehr unterworfen ſein werde wenn er ihn ablegt, ſondern ſchon ihn jenen gei- ſtigen Leib übergeſtrömt. Sterben muß Du nicht, ſter- ben muß nur der deſſen Geiſt den Ausweg nicht findet. Denken beflügelt den Geiſt, der beflügelte Geiſt ſtirbt nicht, er findet nicht zurück in den Tod. — Mit der Mutter konnte ich über alles ſprechen, ſie begriff meine Denkweiſe, ſie ſagte: erkenne erſt alle Sterne und das letzte, dann erſt kannſt Du zweifeln, bis dahin iſt alles möglich.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/14>, abgerufen am 21.11.2024.