Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nen, weil sie nicht glauben kann an eine Unschuld; das
ungeheure Vorurtheil der Sünde impft sie der Unschuld
ein, o, welche unseelige Vorsicht!

Weißt Du was? keiner ist vertraut mit der ideali-
schen Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und so pflegt,
so gönnt man kein Glück, das aus jener höheren ent-
springt, oder durch sie zum Ziel geführt könnte werden.
Was ich je zu gewinnen denke! es sei durch diese idea-
lische Liebe; sie sprengt alle Riegel in neue Welten der
Kunst und der Weissagung und der Poesie; ja, natür-
lich, so wie sie in einem erhabeneren Sinn nur sich be-
friedigt fühlt, so kann sie auch nur in einem erhabne-
ren Element leben.

Hier fällt mir deine Mignon ein, wie sie mit ver-
bundenen Augen zwischen Eiern tanzt. Meine Liebe ist
geschickt, verlasse Dich ganz auf ihren Instinkt, sie wird
auch blind dahin tanzen und wird keinen Fehltritt
thun.

Du nimmst Theil an meinen Zöglingen der Kunst,
das macht mir und ihnen viel Freude. Der junge
Mensch, welcher mein Bildchen radirt hat, ist aus einer
Familie, deren jedes einzelne Mitglied mit großer Auf-
merksamkeit an deinem Beginnen hängt; ich hörte den
beiden älteren Brüdern oft zu, wie sie Pläne machten,

nen, weil ſie nicht glauben kann an eine Unſchuld; das
ungeheure Vorurtheil der Sünde impft ſie der Unſchuld
ein, o, welche unſeelige Vorſicht!

Weißt Du was? keiner iſt vertraut mit der ideali-
ſchen Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und ſo pflegt,
ſo gönnt man kein Glück, das aus jener höheren ent-
ſpringt, oder durch ſie zum Ziel geführt könnte werden.
Was ich je zu gewinnen denke! es ſei durch dieſe idea-
liſche Liebe; ſie ſprengt alle Riegel in neue Welten der
Kunſt und der Weiſſagung und der Poeſie; ja, natür-
lich, ſo wie ſie in einem erhabeneren Sinn nur ſich be-
friedigt fühlt, ſo kann ſie auch nur in einem erhabne-
ren Element leben.

Hier fällt mir deine Mignon ein, wie ſie mit ver-
bundenen Augen zwiſchen Eiern tanzt. Meine Liebe iſt
geſchickt, verlaſſe Dich ganz auf ihren Inſtinkt, ſie wird
auch blind dahin tanzen und wird keinen Fehltritt
thun.

Du nimmſt Theil an meinen Zöglingen der Kunſt,
das macht mir und ihnen viel Freude. Der junge
Menſch, welcher mein Bildchen radirt hat, iſt aus einer
Familie, deren jedes einzelne Mitglied mit großer Auf-
merkſamkeit an deinem Beginnen hängt; ich hörte den
beiden älteren Brüdern oft zu, wie ſie Pläne machten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0147" n="137"/>
nen, weil &#x017F;ie nicht glauben kann an eine Un&#x017F;chuld; das<lb/>
ungeheure Vorurtheil der Sünde impft &#x017F;ie der Un&#x017F;chuld<lb/>
ein, o, welche un&#x017F;eelige Vor&#x017F;icht!</p><lb/>
          <p>Weißt Du was? keiner i&#x017F;t vertraut mit der ideali-<lb/>
&#x017F;chen Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und &#x017F;o pflegt,<lb/>
&#x017F;o gönnt man kein Glück, das aus jener höheren ent-<lb/>
&#x017F;pringt, oder durch &#x017F;ie zum Ziel geführt könnte werden.<lb/>
Was ich je zu gewinnen denke! es &#x017F;ei durch die&#x017F;e idea-<lb/>
li&#x017F;che Liebe; &#x017F;ie &#x017F;prengt alle Riegel in neue Welten der<lb/>
Kun&#x017F;t und der Wei&#x017F;&#x017F;agung und der Poe&#x017F;ie; ja, natür-<lb/>
lich, &#x017F;o wie &#x017F;ie in einem erhabeneren Sinn nur &#x017F;ich be-<lb/>
friedigt fühlt, &#x017F;o kann &#x017F;ie auch nur in einem erhabne-<lb/>
ren Element leben.</p><lb/>
          <p>Hier fällt mir deine Mignon ein, wie &#x017F;ie mit ver-<lb/>
bundenen Augen zwi&#x017F;chen Eiern tanzt. Meine Liebe i&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;chickt, verla&#x017F;&#x017F;e Dich ganz auf ihren In&#x017F;tinkt, &#x017F;ie wird<lb/><hi rendition="#g">auch</hi> blind dahin tanzen und wird keinen Fehltritt<lb/>
thun.</p><lb/>
          <p>Du nimm&#x017F;t Theil an meinen Zöglingen der Kun&#x017F;t,<lb/>
das macht mir und ihnen viel Freude. Der junge<lb/>
Men&#x017F;ch, welcher mein Bildchen radirt hat, i&#x017F;t aus einer<lb/>
Familie, deren jedes einzelne Mitglied mit großer Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit an deinem Beginnen hängt; ich hörte den<lb/>
beiden älteren Brüdern oft zu, wie &#x017F;ie Pläne machten,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0147] nen, weil ſie nicht glauben kann an eine Unſchuld; das ungeheure Vorurtheil der Sünde impft ſie der Unſchuld ein, o, welche unſeelige Vorſicht! Weißt Du was? keiner iſt vertraut mit der ideali- ſchen Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und ſo pflegt, ſo gönnt man kein Glück, das aus jener höheren ent- ſpringt, oder durch ſie zum Ziel geführt könnte werden. Was ich je zu gewinnen denke! es ſei durch dieſe idea- liſche Liebe; ſie ſprengt alle Riegel in neue Welten der Kunſt und der Weiſſagung und der Poeſie; ja, natür- lich, ſo wie ſie in einem erhabeneren Sinn nur ſich be- friedigt fühlt, ſo kann ſie auch nur in einem erhabne- ren Element leben. Hier fällt mir deine Mignon ein, wie ſie mit ver- bundenen Augen zwiſchen Eiern tanzt. Meine Liebe iſt geſchickt, verlaſſe Dich ganz auf ihren Inſtinkt, ſie wird auch blind dahin tanzen und wird keinen Fehltritt thun. Du nimmſt Theil an meinen Zöglingen der Kunſt, das macht mir und ihnen viel Freude. Der junge Menſch, welcher mein Bildchen radirt hat, iſt aus einer Familie, deren jedes einzelne Mitglied mit großer Auf- merkſamkeit an deinem Beginnen hängt; ich hörte den beiden älteren Brüdern oft zu, wie ſie Pläne machten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/147
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/147>, abgerufen am 18.05.2024.